Historische Zeitleiste

Februar

Flieger im Ersten Weltkrieg

Während des I. Weltkrieges wurde die Haltung der Preußischen Akademie gegenüber ihren Mitgliedern aus den kriegführenden Staaten von der Öffentlichkeit auch im Ausland aufmerksam verfolgt.

"Die Berliner Akademie der Wissenschaften hat nach Mitteilungen der Tagespresse den auswärtigen Gelehrten gegenüber die ruhige und besonnene Haltung eingenommen, die allein einer wissenschaftlichen Körperschaft angemessen ist. Man erfährt, daß unter ihren Mitgliedern in der neu herausgegebenen Mitgliederliste wieder wie früher eine ganze Reihe französischer, englischer und russischer Gelehrter verzeichnet sind." (Zirkular des Bundes "Neues Vaterland" vom 29. 1. 1915)
Doch einige Mitglieder wollten auch in der Akademie ein nationales Zeichen setzen. So beantragte der Vorsitzende Sekretar Gustav Roethe am 29.4.1915 in der Physikalisch-mathematischen Klasse die Streichung des britischen Chemikers Sir William Ramsey als Korrespondierendes Mitglied und der Althistoriker Eduard Meyer forderte, alle französischen Korrespondierenden Mitglieder der Berliner Akademie, die zugleich Mitglieder des Institut de France waren, von der Mitgliederliste zu streichen.
Schließlich sorgte ein gemeinsamer Antrag des Physikers Max Planck und des Ägyptologen Adolph Erman dafür, daß alle Schritte gegen Akademien feindlicher Länder bis nach Beendigung des Krieges vertagt wurden.

Systemevaluation
"... man hat astronomische Observationes angestellet, [...] neue Rechnungs- und Messkünste angewiesen, dadurch schwere und nüzliche Aufgaben aufzulösen. Es ist ein neuer Phosphorus von einem Gliedmass der Societät erfunden worden, so in einem verschlossenen Glas durch blosse Bewegung allezeit leuchtet, und die vermeinten lucernas immortales der Alten dargeben kann, auch sind andere schöne Experimenta gewiesen worden. Man hat auch besondere Machinas ausgedacht, dadurch Dinge von Nuzen und Wichtigkeit ausszurichten. Man hat einige uralte Zeichen der Chineser erläutert, so sie nun von 2000 Jahren her selbst nicht mehr verstehen, und die doch einen neuen mathematischen Schlüssel in sich halten. Man hat in dem Alterthum der teutschen Sprache nicht wenig entdecket, das Celtische mit dem Teutschen zusammen gehalten, alte teutsche Manuscripta nüzlich angewendet, auch Monumenta der teutschen Historie ans Liecht bracht ..." (Leibniz)

Leibniz

Leibniz
Anfang des Jahres 1702 präsentiert der Akademiepräsident und unermüdliche Projektemacher Leibniz die Ergebnisse der bisherigen Arbeit der Societät. Er verbindet diese Leistungschau mit dem Vorschlag, der Societät zur Erfüllung ihrer Aufgaben für das Aufnehmen von Wissenschaft, Land und Leuten, sowie zur Befestigung des Glaubens weitere finanziell ergiebige Privilegien zu erteilen. Durch Stipendien und Communitäten für junge Leute zu Ausbildungszwecken und Promotionen will die Societät den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, durch Übertragen gemeinnütziger Dinge an die Societät, wie Kombination eines Rezepturbüchleins mit den Kalendern, Vereinheitlichung von Maßen, Zahlen sowie "einer Assecurations-Cassa [...], dabey nicht allein auf die Einsammlung der Gelder in die Feuer-Cassa, sondern auch auf eine gute Feuer-Ordnung und Einführung nützlicher Instrumenta, sonderlich der Feuer-Spritzen..." weitere Einnahmequellen erschließen.

Ludwig PRANDTL

"Ich empfinde dankbar die große Ehre und die Anerkennung meiner wissenschaftlichen Arbeit, die in dieser Wahl liegt. Ich trage jedoch angesichts der mit der ordentlichen Mitgliedschaft verbundenen Pflichten große Bedenken, die Wahl anzunehmen." (1) Die Akademie hatte sich 1937 bei der Wahl Ludwig Prandtls (2) für einen Vertreter der angewandten Physik und Luftfahrttechnik entschieden, der trotz seiner exponierten Stellung in der Rüstungsindustrie des NS-Staates - er war seit den dreißiger Jahren maßgeblich an der Entwicklung der deutschen Luftwaffe beteiligt - hohes internationales Ansehen genoß. Im Wahlantrag der Akademie, der u.a. von den Physikern Walter Nernst, Max von Laue und Max Plack unterzeichnet ist, werden Prandtls frühe Arbeiten zur Elastizitätstheorie ebenso hervorgehoben wie die von ihm geschaffene Synthese von empirischer und theoretischer Hydrodynamik, die wissenschaftlich, wie technisch und wirtschaftlich eminent folgenreich gewesen ist.

Als die Akademie sich anschickte, seine Leistungen durch die Wahl zum Ordentlichen Mitglied zu würdigen, hatte Prandtl Göttingen zu einem Zentrum der modernen Hydro- und Aerodynamik gemacht. Vorausgegangen waren bahnbrechende Leistungen wie die Erfindung eines Gerätes zur Messung der Strömungsgeschwindigkeit - das Prandtlsche Rohr -, die Erkenntnis der Bedeutung von Grenzschichten beim Strömungsverhalten von Flüssigkeiten und Gasen (1904), die Untersuchung von Überschallströmungen in im Windkanal (1908) und die Formulierung einer Theorie der turbulenten Strömungen (1910); seine 1918/19 aufgestellte Tragflügeltheorie setzte enorme technische und wirtschaftliche Innovationskräfte in der Entwicklung des Flugzeugbaues frei. Für seine Verdienste war Prandtl bereits zum Mitglied der Akademien in Göttingen, Turin und Stockholm so wie Ehrenmitglied der Mathematical Society berufen geworden.

Den Belastungen einer weiteren Akademiemitgliedschaft, wie sie die eines ordentlichen Mitgliedes in der Preußischen Akademie mit sich brachten, standen die Prioritäten Prandtl entgegen. Da er sich auf sein fachlich koordiniertes Wirken für den Ausbau der Luftfahrtforschung zu konzentrieren hatte, war die Ablehnung einer ordentlichen Mitgliedschaft im Einvernehmen mit Görings Luftfahrtakademie erfolgt. Auch den für ihn daraufhin eigens geschaffenen Status einer "auswärtigen Ordentlichen Mitgliedschaft" wollte er deshalb nicht annehmen. So erhielt er denn, seinem ursprünglichen Vorschlag entsprechend, die Rechtsstellung eines Korrespondierenden Mitgliedes.

  • Prandtl an die Kgl. Preußische Akademie der Wissenschaften vom 19.5.1937, Archiv der BBAW, II-II-92/1, Bl. 169
  • Prandtls Wahl in der Physikalisch-mathematische Klasse erfolgte am 25.2. - ohne Gegenstimme - und in der Gesamtakademie am 15.4.1937 mit einer Gegenstimme.
  • Archiv der BBAW, II-III, 92/1, Bl. 38/1.

Einstein

"Der metrische Charakter (Krümmung) des vierdimensionalen raum-zeitlichen Kontinuums wird nach der allgemeinen Relativitätstheorie in jedem Punkte durch die daselbst befindliche Materie und deren Zustand bestimmt. Die metrische Struktur dieses Kontinuums muß daher wegen der Ungleichmäßigkeit der Verteilung der Materie notwendig eine äußerst verwickelte sein. Wenn es uns aber nur auf die Struktur im großen ankommt, dürfen wir uns die Materie als über ungeheure Räume gleichmäßig ausgebreitet vorstellen, so daß deren Verteilungsdichte eine ungeheuer langsam veränderliche Funktion wird. (S. 148) [...] Die theoretische Auffassung der tatsächlichen Welt wäre also, falls dieselbe unserer Betrachtung entspricht, die folgende. Der Krümmungscharakter des Raumes ist nach Maßgabe der Verteilung der Materie zeitlich und örtlich variabel, läßt sich aber im großen durch einen sphärischen Raum approximieren." (Einstein 8. Februar 1917, Sitzungsberichte der Akademie 1917, I:148/150) In seinem vor der physikalisch-mathematische Klasse der Akademie gehaltenen Vortrag "Kosmologische Betrachtungen über allgemeine Relativitätstheorie" stellte Einstein das erste mathematisch begründete Weltmodell vor, auf dem alle weiteren kosmologischen Modelle und Theorien beruhen. Auch seine Erweiterungen der allgemeinen Relativitätstheorie trug er unter den Titeln "Über eine naheliegende Ergänzung des Fundaments der allgemeinen Relativitätstheorie" (Sitzungsberichte der Akademie 1921, I:261 ff.) und "Zur allgemeinen Relativitätstheorie" (Sitzungsberichte der Phys.-math. Klasse der Akademie 1923, I:32 ff.) in der Akademie das erste Mal öffentlich vor. Die Akademie erwies sich in diesem Fall als Diskussionsforum der Relativitätstheorie.

Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet

Er wurde am 13. Februar 1805 als französischer Staatsbürger in Düren, einer Stadt in der Nähe von Aachen (Aix-la-Chapelle) geboren. Nach dem Schulbesuch in Bonn und Köln ging er (nun bereits preußischer Staatsbürger) nach Paris, um an diesem immer noch unumstrittenen Mittelpunkt der Wissenschaften Mathematik zu studieren. Seit dem Sommer 1823 lebte er dort als Hauslehrer in der Familie des Generals M.S. Foy (1775-1825), dessen Frau und zwei Kinder er in deutscher Sprache und Literatur unterrichtete. Foy war der Führer der liberalen Opposition in der Deputiertenkammer.
1825 reichte Dirichlet seine erste mathematische Abhandlung bei der französischen Akademie der Wissenschaften ein. Diese Abhandlung machte ihn sofort unter den bedeutendsten in Paris wirkenden Mathematikern bekannt, u.a. mit Fourier. Es besteht kein Zweifel, daß ihm eine glänzende mathematische Karriere in Paris offengestanden hätte und er heute als einer der herausragenden französischen Mathematiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt würde.

Aber es kam anders. In Paris hatte zu dieser Zeit auch Alexander von Humboldt seine Wirkungsstätte. Er wurde als Mitglied der französischen Akademie im Zusammenhang mit der oben erwähnten Abhandlung mit Dirichlet bekannt. In seinem Bestreben, Berlin zu einem Wissenschaftszentrum ersten Ranges zu machen, war er ständig auf der Suche nach Talenten. Er selbst verlegte 1828 seinen Wohnsitz wieder nach Berlin. Auf seine Empfehlung hin wurde Dirichlet 1827 in den Preußischen Staatsdienst aufgenommen, zunächst als Privatdozent in Breslau und ab 1828 als Dozent an der Allgemeinen Kriegsschule und an der Universität in Berlin. Dieser Aufnahme ging eine politische Überprüfung voraus. Der Preußische Botschafter in Paris stellte Dirichlet das folgende Zeugnis aus: "Da sich über die Gesinnungen und den Lebenswandel dieses jungen Mannes aus den Polizey-Registern durchaus nichts Nachteiliges ergeben hat, obgleich derselbe in dem Hause eines Mannes lebte, welchen die Regierung zu ihren eifrigsten Gegnern zählte, so glaube ich annehmen zu dürfen, daß derselbe hier nur den Wissenschaften gelebt hat, ohne sich in das politische Treiben hineinziehen zu lassen."

Der Name Lejeune Dirichlet ist nicht - wie vielfach angenommen wurde - hugenottischen Ursprungs, sondern kommt aus dem Aachen benachbarten französisch-sprechenden Belgien. Dirichlets Großvater war als Tuchmacher von dort nach Düren übergesiedelt. So erklärt sich der Name als "Jung aus Richelet", einem Ort in der Nähe von Verviers.

1829 erschien die berühmte Arbeit von Dirichlet über die Fourier-Analyse. Dabei geht es, physikalisch gesprochen, um die Spektralanalyse einer beliebigen periodischen Naturerscheinung. Diese Methode war zwar von Gauß und Fourier ausgearbeitet worden, aber die mathematische Begründung gelang erst durch Dirichlet.

1832 heiratete Dirichlet Rebekka Mendelssohn-Bartholdy. A. von Humboldt hatte ihn in das Haus ihres Vaters, des Berliner Bankiers Abraham Mendelssohn-Bartholdy, eingeführt, dessen Vater der bekannte Philosoph Moses Mendelssohn und dessen Sohn der berühmte Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy waren. (Ich möchte mir hier eine kleine Abschweifung erlauben und auf die Verwandtschaft bzw. Verschwägerung dieser Familie mit weiteren Mathematikern hinweisen. Fanny Mendelssohn-Bartholdy, eine Schwester von Rebekka, heiratete den Maler W. Hensel, dessen Enkel der Mathematiker K. Hensel ist. Ottilie Mendelssohn, eine weitere Enkelin des Philosophen, heiratete den Mathematiker Kummer, dessen Schwiegersohn ist der Mathematiker H.A. Schwarz.)

Ebenfalls im Jahre 1832 wurde Dirichlet Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. In den Jahren 1833-1855 hielt er alljährlich mindestens einen Vortrag in der Akademie über eigene Ergebnisse. Eine Ausnahme bildet die Zeit von Herbst 1843 bis Frühjahr 1845, in der er einen Urlaub für eine Italienreise erhielt, die er zum Teil zusammen mit den Mathematikern Jacobi, Borchardt, Schläfli und Steiner durchführte. Schläfli, ein Gymnasiallehrer aus der Schweiz, wirkte auf der Reise als Dolmetscher von Steiner und erhielt täglich Mathematiklektionen von Dirichlet. In der Folge entwickelte er sich zu einem bedeutenden Mathematiker.

Neben seinen Beiträgen zur Analysis ist Dirichlet vor allem bekannt durch seine bahnbrechenden Beiträge zur Zahlentheorie, die er durch Anwendung neuartiger Methoden aus der Analysis, Geometrie und Algebra auf die Zahlentheorie erzielte. Das heute als Dirichletscher Einheitensatz bekannte Theorem aus der algebraischen Zahlentheorie gehört zu den tiefsten Sätzen dieser Disziplin. Den Hauptpunkt des Beweises fand Dirichlet 1844 während des Anhörens der Ostermusik in der Sixtinischen Kapelle in Rom.

Im Jahre 1855 hatte Dirichlet neben seiner Professur an der Berliner Universität immer noch Unterricht an der Kriegsschule zu erteilen. Er nahm daher einen Ruf, den er als Nachfolger von Gauß nach Göttingen erhalten hatte, zum Anlaß, den Wunsch auszudrücken, von dieser ihm jetzt lästigen Tätigkeit entbunden zu werden. Da jedoch das Preußische Kultusministerium hierauf nicht rechtzeitig reagierte, folgte er dem Ruf nach Göttingen und arbeitete dort bis zu seinem Tode am 5.5.1859.
Dirichlet ist der erste Mathematiker an der Berliner Universität von Weltbedeutung. Mathematische Fragen, die er als erster berührt hat, stehen auch heute mit im Mittelpunkt der mathematischen Forschung.

Helmut Koch

Andreas Sigismund Marggraf

schrieb der Akademiepräsident Maupertuisim Winter 1748/49 an den König.
Diesen Ruhm verdankt die Akademie ihrem Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709-1782). Am 19.2.1738 wurde Marggraf als abwesendes und 1744 als Ordentliches Mitglied in die Societät bzw. die Akademie aufgenommen. Seiner Ausbildung entsprechend zählte für ihn nur das Versuchsergebnis eines Experiments, unabhängig von der Kompatibilität der experimentellen Ergebnisse mit der damals gültigen Phlogistontheorie, der er im Prinzip anhing. Seine ersten Arbeiten über Verbindungen des Phosphors und über organisch-chemische Verbindungen verschafften ihm bald die Reputation als einen der bedeutendsten Chemiker. Seine Ergebnisse dienten vorrangig der Wirtschaft Preußens und sollten zur Aufbesserung der leeren Staatskassen beitragen. Friedrich II. beauftragte ihn mit der Prüfung von Surrogaten für Schokolade und mit der Herstellung eines Kaffeesurrogats, um - wegen der für Kolonial- und Fertigwaren zu entrichtenden Zölle - den Kaffeekonsum in Preußen zu senken. Das Ersatzmittel fand keine Abnehmer und Friedrich II. errichtete daraufhin ein staatliches Kaffeemonopol.

Bei der Behandlung von Pflanzensäften durch Reinigen, Eindicken und Kristallisation entdeckte Marggraf 1747 durch den mikroskopischen Vergleich die Identität der "Salze" (Zuckerkristalle) in der Rübe mit denen aus dem Rohrzucker. Die Fortsetzung dieser Versuche und ihre technologische Umsetzung durch seinen Schüler Achard führten 1802 zur ersten Rübenzuckerfabrikation im schlesischen Kunern.

1753 errichtete die Akademie ein neues chemisches Laboratorium, zu dessen Direktor Marggraf ernannt wurde. In diesem Labor entwickelte er durch Kombination von Festkörperreaktionen und Reaktionen in Lösungen wichtige Grundlagen für die analytische Chemie des 19. Jahrhunderts. Die "Berliner-Blau-Reaktion" als Nachweis für Eisen, der Nachweis von Elementen bzw. Stoffen durch unterschiedliche Färbungen beim Verglühen oder die Darstellung des Phosphors im Harn sind wenige Beispiele aus der Vielzahl der von ihm analysierten Stoffe.

Ludwig Boltzmann

ist einer der bedeutendsten Naturforscher des 19. Jahrhunderts gewesen. Er gilt als Begründer der statistischen Thermodynamik. Von ihm wurde das Bild von Atomen und Molekülen in ein Gebiet der Physik getragen, das zuvor nur durch Begriffe wie Wärme, Arbeit, Entropie, Druck usw. gekennzeichnet war. Die Existenz von Atomen war damals durchaus nicht gesichert und wurde von vielen Gelehrten nur als Hilfskonstruktion von Theoretikern betrachtet. Deshalb waren Boltzmanns Arbeiten ein Leben lang Anfeindungen und Kontroversen ausgesetzt. Sie haben bei ihm tiefe Spuren hinterlassen und sind sicher für das tragische Ende dieses großen Gelehrten mitverantwortlich. Den glänzenden Sieg seiner Ideen hat er nicht mehr erlebt. Ludwig Boltzmann wurde in Wien geboren. Sein Vater verstarb früh, was den 15-jährigen Ludwig schwer traf. Die Mutter benutzte das kleine Vermögen, welches ihr zur Verfügung stand, um ihrem oft kränkelnden Sohn eine erstklassige Ausbildung zukommen zu lassen. So war zum Beispiel Anton Bruckner für einige Zeit der Klavierlehrer des jungen Boltzmann.

Im Alter von 19 Jahren betrat Ludwig Boltzmann die Universität Wien, wo er auch im Alter von 22 Jahren promovierte. Sein herausragendes Talent war schnell zum Durchbruch gekommen und so wurde er mit 25 Jahren kraft ''allerhöchster Entschließung'' von Kaiser Franz Josef zum ordentlichen Professor für Mathematische Physik an die Universität Graz berufen. Drei Jahre später erschien seine berühmte Gleichung zur Beschreibung von Transportphänomenen, die heute unter dem Namen ''Boltzmann-Gleichung'' bekannt ist. Auch seine erste große Arbeit zum 2. Hauptsatz der Wärmelehre fällt in diese Zeit. Dieser Satz besagt, dass alle physikalischen Prozesse mit überwältigender Wahrscheinlichkeit so verlaufen, dass die ''Unordnung'' (Entropie) im System dabei nicht abnimmt. Dieser Umstand ist dafür verantwortlich, dass wir zum Beispiel nicht dadurch Energie gewinnen können, indem wir das Wasser der Weltmeere abkühlen, d. h. ihm Wärme entziehen. Boltzmann suchte nun nach einer Größe, welche diesen Sachverhalt in Form einer Gleichung zu beschreiben erlaubt und fand sie in der Gestalt der ''$H$-Funktion''.

Den großen Erfolgen in Graz folgte 1873 die Berufung nach Wien. Schon nach 3 Jahren kehrte er jedoch wieder nach Graz zurück, nunmehr als Professor für Experimentalphysik und Direktor eines neuen physikalischen Instituts. Die folgenden 14 Jahre waren wohl die glücklichsten seines Lebens. Sie waren von großen wissenschaftlichen Erfolgen gekennzeichnet. Dass die Grazer Zeit ein Ende fand, lag zum Teil daran, dass Boltzmann aufgrund anderer Verpflichtungen schließlich immer weniger Zeit zur Forschung fand. So nahm er schließlich einen Ruf nach München an, dem später weitere Aufenthalte in Wien, Leipzig und schließlich wieder Wien folgten. Recht wohl fühlte er sich während eines vierjährigen Aufenthalts in München, wo er regelmäßig mit anderen Kollegen das Hofbräuhaus besuchte. Er verließ die Stadt nur deshalb, weil damals der Bayerische Staat den Professoren keine Pension zahlte. Im Laufe der Zeit brachen jedoch zunehmend längere Krankheiten durch; die übermäßigen geistigen Anstrengungen führten wiederholt zu Nervenleiden.

Mit Berlin war er durch die Berufung in die Preußische Akademie der Wissenschaften verbunden. Das preußische Ministerium versuchte, ihn 1888 als Nachfolger des Physikers Kirchhoff an die Berliner Universität zu berufen. Obwohl er schon zugesagt hatte nach Berlin zu kommen, nahm er nach einem schweren Anfall von Depressionen die Zusage wieder zurück. 1906 obsiegten die Zweifel und Depressionen endgültig. Als ein Genesungsaufenthalt in Duino bei Triest zu keiner Besserung führte, schied er 1906 freiwillig aus dem Leben. Sein Grabmonument auf dem Zentalfriedhof in Wien trägt die Inschrift $S = k~ log~W$. Eine thermodynamische Größe, nämlich die Entropie (''Unordnung'') $S$, wird hier mit einer Eigenschaft von Atomen oder allgemein von Teilchen ($W$) verknüpft. Die verknüpfende Größe $k$ ist die Boltzmann-Konstante. In solch einfache Form läßt sich das Ergebnis jahrzehntelanger Auseinandersetzungen der Gelehrten über die Möglichkeit einer atomistischen Interpretation der Thermodynamik bringen. Ganze Zweige der Technik sind heute ohne dieses Gesetz nicht denkbar.

Dass die Triebfelder, die Boltzmanns Schaffen ermöglichte, durchaus vielerlei Ursprünge hatte, geht aus einem Bekenntnis hervor, dass er einmal niederschrieb: ''Durch Schiller bin ich geworden, ohne ihn könnte es einen Mann mit gleicher Bart- und Nasenform wie ich, aber niemals mich geben. Wenn ein zweiter einen Einfluß von gleicher Größenordnung auf mich ausgeübt hat, so ist es Beethoven''. So entstand aus dem kulturellen Umfeld seiner Zeit heraus die große Leistung des Wissenschaftlers Boltzmann.

Peter Fulde

Abschied vom Kosmos - Grafik von W. v. Kaulbach (1869)

"Fürst VON WITTGENSTEIN ist ... krank", notierte Varnhagen von Ense im Februar 1844 in seinem Tagebuch, "und HUMBOLDT sogar bettlägerig. Auf die falsche Nachricht seines Todes hatte CARUS in Dresden gleich hieher an den Bildhauer RAUCH geschrieben, er möchte sich doch um HUMBOLDTs Schädel bemühen, welchen Brief RAUCH dann HUMBOLDT den zeigte, der sehr artig erwiederte, für einige Zeit brauche er selber noch seinen Schädel, späterhin stehe er gern zu Diensten." (in: Gespräche Alexander von Humboldts, hrsg. v. Hanno Beck, Berlin, 1959:196.) 

Christian Samuel Weiss

Christian Samuel Weiss wurde am 26. Februar 1780 in Leipzig als Sohn eines Pfarrers geboren. In seinem Studium an der Universität Leipzig widmete er sich zunächst der Medizin, wandte sich aber bald den Naturwissenschaften, speziell der Physik zu, worin er dann mit einer Dissertation über die Definitionen des festen und des flüssigen Zustandes promovierte. Anschließend ging er im Jahre 1801 nach Berlin, um sich bei den Akademiemitgliedern Martin Heinrich Klaproth und Dietrich Ludwig Gustav Karsten in Chemie und Mineralogie weiterzubilden.

In Berlin erhielt Weiss den entscheidenden Impuls für die Wahl seiner zukünftigen Arbeitsrichtung. Es war Karsten, der Mineraloge der Berliner Bergakademie, der Weiss auf die Kristallographiedes Franzosen René Just Haüy hinwies und ihm die Mitarbeit an der Übersetzung von Haüys stark kristallographisch orientierten Lehrbuchs der Mineralogie anbot. Karsten beabsichtigte, das in Deutschland herrschende mineralogische System der Mineralerkennung des Freiberger Mineralogen Abraham Gottlob Werner, das hinsichtlich der Unterscheidung der sehr mannigfachen Formen der Mineralkristalle noch sehr unvollkommen war, durch das mathematisch fundierte Verfahren Haüys zu ergänzen. Er bewog Weiss dazu, sich zur Vorbereitung von Werner an der sächsischen Bergakademie in Freiberg vertieft in die Mineralogie einweisen zu lassen.

Es zeigte sich, daß Werners ausschließlich auf Sinneseindrücken basierendes Verfahren der Mineralerkennung der Haltung von Weiss sehr entgegenkam, da es dessen stark ausgeprägter Abneigung der Verwendung von Hilfsmitteln bei der Beobachtung entsprach. Bei der Übersetzung von Haüys Lehrbuch empfand Weiss das im Prinzip atomistische Baukastenverfahren der Dekreszenz, das Haüy für die mathematische Bestimmung der Kristallflächenlagen benutzte, wegen der Willkür bei der Auswahl der Form der kleinsten Bausteine als unbefriedigend, obwohl es brauchbare Ergebnisse lieferte. Demgegenüber formulierte Weiss seine "dynamische Ansicht der Kristallisation", die er auf der Basis von I. Kants Naturphilosophie entwickelte. In ihr setzte er ein im Kristall existierendes System anziehender und abstoßender Kräfte voraus und erklärte die Lagen der äußeren und inneren (Spalt-)Flächen eines Kristalls als Ergebnis des Zusammenwirkens dieser Kräfte. Diese Vorstellung konnte Weiss bereits in den ersten Band der Übersetzung von Haüys Lehrbuch, der 1804 erschien, als größeren Einschub einfügen.

Zunächst als Privatdozent und ab 1808 als Professor der Physik an der Universität Leipzig betrieb Weiss die weitere Ausarbeitung seiner Vorstellungen über Kristalle und gelangte zur Definition der Kristallzone als Gemeinsamkeit von Flächen die einer Kristallachse parallel laufen. Dieses und die Einführung der Maßstäbe für die Kristallachsen als Grundmaße für Kristalle erwiesen sich als sehr fruchtbar. Dem gegenüber ist es aber unwahrscheinlich, daß er sich mit seiner angestrebten "Anschauungsphysik" sowie seiner Abneigung gegen Experimente und "Kunststückchen" in Leipzig hätte länger halten können. Als im Jahre 1810 die Berliner Universität gegründet wurde, erhielt er den Ruf als Professor der Mineralogie. Er wurde so Nachfolger des plötzlich verstorbenen Karsten, der die Stelle erhalten hätte, da die Bergakademie in die Universität aufging. Weiss erhielt hier eine ihm angemessene Aufgabe und ist ihr 46 Jahre lang, bis zu seinem Tode am 1.10.1856, treugeblieben.

Bei seiner Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften im Jahre 1815 trat Weiss mit einem ersten Entwurf einer Systematik der Kristalle auf. Das bis dahin herrschende Chaos überwand er dadurch, daß er die Kristalle nach ihrer Morphologie und zwar nach der Art und der Anzahl ihrer Achsen ordnete. In die von ihm so gebildeten Kristallsysteme konnte er bereits über 120 Mineralarten vorläufig einordnen. Hiermit begann Weiss die lebenslang fortgesetzte Reihe seiner kristallographischen Abhandlungen, die regelmäßig in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften erschienen. Es gelang ihm, weitere Gesetzmäßigkeiten des Kristallbaus aufzufinden, so den Zonenverband, durch den die Flächen eines Kristalls infolge der sich in ihnen überkreuzenden Zonen eindeutig bestimmt sind. Er führte auch die Bezeichnung der Flächen nach den von ihnen auf den Achsen des Kristalls markierten Achsenabschnitten in. Diese sogenannten Weiss'schen Parameter sind in reziproker Form als "Millersche Indizes" noch heute allgemein gebräuchlich. In zahlreichen Arbeiten analysierte Weiss die Goniometervermessungen der verschiedenen Mineralarten, wobei er aber selbst keine Vermessungen vornahm. Aber auch so war dies eine große Aufgabe, die dazu diente, diese Minerale endgültig in ein vervollkommnetes Mineralsystem einzuordnen, an der mit ihm und nach ihm Generationen von Mineralogen gearbeitet haben.

Das naturphilosophische Anliegen trat bei Weiss im Laufe der Zeit gegenüber der mathematischen Behandlung der Kristalle zurück, seinem kräftemäßigen Ansatz blieb er aber treu. Erst im 20. Jahrhundert stellte sich heraus, daß sowohl sein Ansatz als auch der (ursprünglich primitive) atomare Ansatz Haüys zutreffen und der Bau der Kristalle von ihnen gemeinsam bestimmt wird. Anzufügen bleibt noch, daß Weiss ein sehr erfolgreicher Hochschullehrer war, der auch zweimal der Universität als Rektor vorstand. Er vertrat das Gesamtgebiet der Mineralogie, das sich in seiner Amtszeit sehr ausweitete und auch die Geologie und die entstehende Paläontologie mit umfaßte, auf welchen Gebieten er sich ebenfalls betätigt hat. Außerdem hat Weiss am Anfang seiner Berliner Tätigkeit auch naturphilosophische Vorlesungen gehalten, die er aber 1818 nach Berufung des Philosophen G.W.F. Hegel einstellte. Von seinen Schülern haben sich viele als Vertreter verschiedener Zweige der ursprünglichen Mineralogie ausgezeichnet, darunter seine unmittelbaren Mitarbeiter und Nachfolger in Berlin, der Mineraloge Gustav Rose und der Paläontologe Heinrich Ernst Beyrich, beide Mitglieder der Berliner Akademie der Wissenschaften seit 1834 bzw.1853.

Im Stadtbild von Berlin erinnern an Weiss ein Porträtmedaillon über dem Portal des Museums für Naturkunde und ein Eintrag an der "Wand der Wissenschaftler" in der Chausseestraße 116 in Berlin-Mitte. Ein Grabdenkmal gibt es nicht, da Weiss auf einer Reise in Eger verstarb und der dortige Friedhof in eine Grünanlage umgewandelt worden ist. Durch seine bedeutenden kristallographischen Leistungen fand Weiss international allgemeine hohe Anerkennung und ist unvergessen als einer der Begründer der modernen Mineralogie und Kristallographie.

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