Die wissenschaftshistorische Forschung hat den Opportunismus deutscher Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen gegenüber den nationalsozialistischen Herrschern in den vergangenen Jahren immer klarer erkennbar werden lassen. Auch die Akademie als Ganze bildet keine Ausnahme: Ausloten der Chancen, vorgreifende Anpassung, aktives Entgegenkommen und Widerspruch in Einzelfällen bestimmten das Verhalten.
Kaum überraschend waren die Distanz und der Mut, sie zu bekennen, zu Beginn am größten. Max von Laue etwa, übte als Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und wichtiger Repräsentant der Akademie auf dem Physikertag in Würzburg am 18. 9. 1933 deutliche Kritik an der propagierten Wissenschaftspolitik. (1)
Anders die Organe der Akademie; sie wagten keinen grundsätzlichen Widerspruch. So hatte man in der Sekretariatssitzung im Juni 1933 den Protest belgischer Gelehrter gegen die Judenpolitik der Nazis ohne Stellungnahme zur Kenntnis genommen. (2) Gleichwohl wollte man die Konsequenzen dieser Politik nicht in jedem Einzelfall tragen. Die Philosophisch-historische Klasse der Akademie wies deshalb am 30. 11. 1933 die Forderung der Bayreuther Jean-Paul-Gesellschaft zurück, Eduard Berend wegen rassischer Gründe aus seiner Herausgeberfunktion für die historisch-kritische Jean-Paul-Ausgabe zu entlassen.
Die künftige Strategie der Doppelmoral gab der Sekretar der Klasse Ernst Heymann, selbst Anhänger und Beförderer des Arierparagraphen, vor, als er Mitte Dezember 1933 erklärte, die Arbeiten "nichtarischer" Verfasser könnten auch weiterhin in den Sitzungsberichten der Akademie erscheinen, man werde freilich "eine gewisse Zurückhaltung" bei der Aufnahme jüdischer Autoren walten lassen müssen. (3)
Je weiter die Zeit fortschritt desto stärker paßte die Akademie sich den politischen Vorstellungen und Wünschen an: sie betrieb eine 'Reinigung' der Mitgliedschaft, die als Austritts-Täter stets die Opfer in Erscheinung treten ließ und wählte zunehmend, stets unter Wahrung wissenschaftlicher Exzellenz-Kriterien, politisch genehme Mitglieder hinzu. (4) Ansonsten zeigte man seine Verbundenheit durch markig-militärische Sonntagsreden. "Wir wollen eine moderne Armee wissenschaftlicher Soldaten sein!" resümierte Hermann Grapow das mit den Unternehmungen der philosophisch-historischen Klasse 1940 angestebte Ziel. (5) Es ist ein großes Glück, von diesem Gebrauch der Forschungsfreiheit befreit worden zu sein.
(1) Vgl. Max v. Laue: Mein physikalischer Werdegang. Eine Selbstdarstellung, in: Aufsätze und Vorträge, Braunschweig 1962: XXIX.
(2) Vgl.: Archiv der BBAW, Sign.:II-V-179.
(3) Ibid., Sign.:II-V-170.
(4) Vgl. Walther, P.Th., 'Arisierung', Nazifizierung und Militarisierung. Die Akademie im 'Dritten Reich', in: Fischer, W. untern Mitarbeit von R. Hohlfeld & P. Nötzold (Hg.), Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914 - 1945, Berlin 2000:87-118.
(5) Ebd., 115.
Heinrich Barkhausen, Professor an der Technischen Hochschule Dresden von 1911 bis 1953 und Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (seit 1949), war einer der Pioniere der Schwachstromtechnik in Deutschland. In die Zeit seines über vierzigjährigen Wirkens als Hochschullehrer fällt die von ihm weitestgehend mitbestimmte, außergewöhnliche Entwicklung der Elektronik und der Nachrichtentechnik. Wer war dieser Heinrich Barkhausen, nach dem die in der Psychoakustik verwendete Einheit für die Frequenzgruppe als "das Bark" bezeichnet wird?
Mit seinem Namen verbunden sind eine Vielzahl von Entdeckungen wie etwa die Magnetisierungssprünge im Eisen (Barkhausen-Effekt, Barkhausen-Sprünge, Barkhausen-Rauschen), die Barkhausen-Kurz-Schwingungen, die Barkhausen-Röhrenformel und der Barkhausen-Lautstärkemesser. Die Zahl seiner Monographien, Bücher und Buchbeiträge ist groß, die seiner Publikationen und Vorträge beträchtlich; Ehrfurcht gebietend ist die Menge seiner Diplomanden und Doktoranden. Was machte Heinrich Barkhausen und sein Dresdner Institut so anziehend für junge, wissenschaftlich interessierte Leute, wo liegt das Geheimnis dieses hochangesehenen akademischen Forschers und Lehrers?
In erster Linie ist der persönliche Stil zu nennen, der seine Art des Forschens und Lehrens, seinen Umgang mit jungen Leuten, aber auch sein Verhältnis zur Technik und zur Entwicklung von Wissenschaft kennzeichnete. Barkhausen wirkte durch sein Wissen, sein nicht zu überbietendes Engagement. Er machte nicht viele Worte, war zurückhaltend, bescheiden im Auftreten, alles Marktschreierische lehnte er ab, seine Lebensweisheit beeindruckte. Er war unbestechlich in seiner Kritik auch sich selbst gegenüber, anderen gegenüber nie schroff oder abweisend, sondern darauf bedacht, den Gesprächspartner gelten zu lassen. All dies ließ ihn zum Vorbild werden.
So kann es nicht wundernehmen, daß die "Barkhausenschule" von Mitgliedern wie Beobachtern als eine Art Großfamilie geschildert wird, mit tiefen inneren Bindungen, die das in der Wissenschaft Übliche weit übertreffen. Die an der Hochschule geschmiedete Gemeinsamkeit entfaltete eine bleibende Wirkung im späteren Beruf.
Da Barkhausen großen Wert auf die anschauliche Darstellung und die praktische Demonstration legte, führte er in seinen Vorlesungen immer auch Experimente durch. Die Studenten spürten dabei seine Freude am unmittelbaren Experimentieren. Seine Schüler schildern, daß die in der Vorlesung mit dem Experiment gezeigte Bestätigung theoretischer Ableitungen sich dem Gedächtnis nachhaltig einprägte; man erinnerte sich gleichsam über das erlebte Experiment an die Höhepunkte des Fachgebietes. Dieses Vorgehen war Methode des intuitiven Pädagogen Barkhausen. In den Praktika wirkte Barkhausen auf die Vermittlung von wissenschaftlicher Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit hin etwa beim Vergleich zwischen den Meßergebnissen und den theoretischen Berechnungen; unduldsam widersprach er Scheinlösungen, die durch oberflächliche Deutungen entstanden waren. Die stets offene kritische Einstellung gegenüber jedweder wissenschaftlicher Erklärung hinterließ bei seinen Schüler nachhaltige, die eigene Arbeit stark prägende Spuren.
Barkhausen wird nachgesagt, daß er zu jenen genialen Forschern gehörte, die das einfache Prinzip beherrschen, "sich wundern zu können". Eine ungewöhnliche Erscheinung oder einen bisher nicht beobachteter Effekt behandelte er erst einmal als Anomalie und versuchte, dieses Phänomen mit etwas Bekanntem, auch aus anderen physikalischen Bereichen, in Verbindung zu bringen. Die spezielle Erscheinung einem höheren, allgemeinen Grundsatz unterzuordnen, das Unbekannte auf ein allgemeines Wirkprinzip und somit auf Bekanntes zurückzuführen, war Barkhausens ureigeneVorgehensweise, die ihn zu zahlreichen Entdeckungen im Bereich der Elektrotechnik führte.
Er besaß die nahezu prophetische Gabe, in einer Masse von Einzelerscheinungen etwas Allgemeines, etwas Gesetzmäßiges zu erkennen, daraus größere Zusammenhänge zu entwickeln, die meist auch einen Ausblick auf völlig neue Horizonte des betreffenden Problemkreises eröffneten.
Barkhausen verfügte dabei über die Fähigkeit, kompliziert Erscheinendes in sehr einfacher, einleuchtender Weise zu erklären, es auf anschauliche Zusammenhänge zurückzuführen und damit - scheinbar mühelos - eingängige Regeln für praktisches Tun abzuleiten. Stets mahnte er, es gehe weniger darum, Kenntnisse zu sammeln als Gesetzmäßigkeiten zu ergründen und sich dabei nicht mit mathematischen Erklärungen allein zufrieden zu geben, wenn der physikalische Hintergrund nicht mitgefühlt werden kann. Er besaß die hervorragende Fähigkeit, in physikalischen Zusammenhängen zu denken und die von der physikalischen Anschauung ausgehende Betrachtungsweise mit der mathematisch-abstrakten zu verbinden.
An die Anforderungen der technischen Gestaltung, die sich in einem Industriebetrieb stellen, mußte sich dieser durch und durch naturwissenschaftliche Charakter freilich erst gewöhnen. "Ich muß gestehen, daß ich mich in eine ganz neue und andersartige Welt versetzt fühlte, als ich eine Stelle als Ingenieur einnahm. Es fehlte mir doch an einer richtigen technischen Vorbildung, insbesondere in konstruktiver Hinsicht. Bezüglich der Theorie war es aber für mich zunächst geradezu beschämend zu sehen, mit welch primitiven Mitteln man sich im allgemeinen ganz gut helfen konnte. ... Dann kam der dornige Weg von der Theorie zur Praxis, von der Universität zur Fabrik. Manche Fetzen wissenschaftlichen Übermuts blieben an den Dornen hängen und kleinlaut merkte der reifende Mann, daß es in der Praxis noch auf sehr viel anderes ankommt, als nur auf die theoretische Lösung eines Problems. Eingeschüchtert von der spöttischen Sicherheit des Praktikers wollte ich an meiner Wissenschaft fast irre werden. Es dauerte aber nicht lange, bis ich erkannte, daß diese Sicherheit der Praktiker sehr wenig tief gegründet war und stets nur den einzelnen Fall betraf. Nun sah ich mein Ziel vor mir: die wissenschaftliche Forschung so zu betreiben, daß sie eine feste Grundlage für die praktische Ausführung liefert und Ingenieure heranzubilden, die imstande sind, auf diesen Grundlagen aufbauend die praktischen Apparate zu entwickeln."
Es kann mithin kein Zweifel sein, daß Heinrich Barkhausen das Leibnizsche Akademiemotto nicht nur gut verstanden, sondern auch mit Leben erfüllt hat.
Peter Költzsch
entgegnete Friedrich Wilhelm II. am 5.12.1793 dem Kurator der Akademie Ewald Friedrich Graf von Hertzberg auf seinen Vorschlag, den Naturforscher Georg Forster als ordentliches Mitglied in die Akademie aufzunehmen.
Zit. n. Conrad Grau: Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Heidelberg-Berlin-Oxford 1993:121.
Forster wird nie ordentlicher Akademiker
Akademiemitglied, wenn auch nur ein 'auswärtiges', war der "Revolutionär" Forster bei diesem Vorstoß bereits: am 7.12.1786 hatte man ihn, wie auch Kant und Wieland, im Zuge einer Aktion zur Stärkung der Einrichtung sowie des Anteils von deutschen Gelehrten in ihr gewählt. Nach dem Tod Friedrichs II. schrumpfte die Anzahl der Akademiemitglieder auf 18; unter Schweizern, Franzosen und Italienern waren lediglich fünf Deutsche übriggeblieben. Trotz dieser Internationalisierung hatte der Ruf der Akademie bereits gegen Ende der Regentschaft Friedrichs merklich gelitten. Dies war auch dem Naturforscher Georg Forster, Teilnehmer an James Cooks von 1772 bis 1775 dauernder zweiter Weltumseglung, nicht entgangen. Nach einem fünfwöchigen Berlinaufenthalt Anfang des Jahres 1779 lautete sein Urteil: "Die französische [sic] Akademie? laßen Sie mich den Staub von meinen Füßen schütteln und weiter gehen." (1) Gut ein Jahrzehnt später bemühte sich Graf von Hertzberg als neuer Kurator der Akademie den welken Ruhm durch Neuberufungen wieder aufzufrischen; dabei setzte er verstärkt auf deutsche Gelehrte.
Als Berater und neue Mitglieder gewann er vor allem Personen aus der Berliner Aufklärungsszene. Ab 1792 bemühte er sich, Georg Forster aus Mainz nach Berlin zu locken, indem er insbesondere von den finanziellen Vorteilen eines Ortswechsels sprach: Wertvolle Gedenkmünzen der Akademie, eine jährliche Vergütung als ordentliches Mitglied und die Berufung zum Professor an die Berliner Académie militaire en Belles-Lettres et en Histoire sollten mehr einbringen als die derzeitige Anstellung. (2)
Hertzberg und Forster verband die Wertschätzung der Französischen Revolution von 1789, "der außerordentlichsten von allen, welche die Geschichte uns aufweiset und durch welche die französische Nation, aufgeklärt und angetrieben von den neuern Philosophen, die bestmöglichste Konstitution gründen und sogar die englische übertreffen will, indem sie Monarchie und Republik vereinigt oder vermischt und der Nation die gesetzgebende Macht und dem Könige die ausübende Macht zusichert, doch so, daß dieser den Stellvertretern der Nation untergeordnet bleibt." (3) Solche Worte von einem königlichen Akademiekurator zu vernehmen, dürfte nicht nur beim Monarchen für eine gewisse Verstörung gesorgt haben.
Forsters Haltung zur Französischen Revolution war deutlich radikaler, doch meinte er, die Verhältnisse in Deutschland seien noch nicht reif für einen solchen Umbruch. "Ich habe durchaus Eine Idee in unsern Revolutionszeiten zu verfolgen gesucht: nämlich, daß wir in Deutschland uns ein Beispiel an Frankreich nehmen mögen, um das nicht zu thun, was da geschieht, und daß wir zu einer Revolution noch nicht reif sind; daß es aber bei unserer jetzigen Aufklärung und dem Grade von allgemeiner Einsicht und Beurtheilungskraft, der sich einmal verbreitet hat, schlechterdings zu nichts helfen, vielmehr die Nation erbittern und reizen kann, wenn man sie als dumm und unwißend behandelt und sie daher (wie der aristokratische Club des Tiers-état in Hannover) geradezu über Dinge, die sie schon beßer weiß, zu belügen wagt. Ich halte dafür, man sagt die reine Wahrheit, man schimpft nicht auf Freiheit und Republikanismus, man nennt das Gros, was wirklich so ist; aber man zeigt, daß wir einen bessern Zeitpunkt abwarten können, oder vielmehr daß die moralische Bildung unserer Nation ... uns wie von selbst frei machen muß." (4)
Trotz dieses klaren Bekenntisses zu Gewaltlosigkeit und moralischer Bildung als Motor politischer Veränderungen und auch weil er zuvor in Erfahrung gebracht hatte, daß Forster sich Anfang November 1792 durch seinen Eintritt in den Mainzer Jakobinerklub für die Französische Republik entschieden hatte, in deren Dienst er im darauffolgenden Jahr trat, lehnte der König Herzbergs Vorschlag entrüstet ab, Georg Forster als ordentliches Mitglied in die Akademie zu berufen.
Merkwürdigerweise blieb ihm im Unterschied zu Condorcet und Bitaubé sowie allen weiteren des Jakobinismus verdächtigen französischen Mitgliedern die Entlassung aus der Akademie erspart; auch nach dem Januar 1703 wurde er weiter als auswärtiges Mitglied geführt. In Berlin verhielt man sich mithin wie die Leopoldina und die Gelehrten Gesellschaften zu London, Göttingen, natürlich Paris, Madrid, Kopenhagen, Florenz, Neapel, Heidelberg und Celle. Einzig die Kasseler Société des Antiquités kann von sich sagen, daß sie politische Ansichten wichtiger nahm als wissenschaftliches Ansehen: sie hat den "Revolutionäre" 1793 von ihrer Mitgliederliste gestrichen.
(1) Georg Forster an Friedrich Heinrich Jacobi, 23.4.1779, in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Dreizehnter Band, hrsg. v. d. Akademie der Wissenschaften der DDR. Briefe bis 1783, Berlin 1978:198.
(2) Georg Forster an Christian Friedrich Voß, 2.10.1792, in: Georg Forsters Werke, Bd. 17, a.a.O., Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, Berlin 1989:657.
(3) Conrad Grau: Die revolutionären Ereignisse in Paris 1789 bis 1794 und die Akademie in Berlin, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1990, Nr. 3/G:94
(4) Georg Forster an Christian Friedrich Voß, 2.10.1792, in: Georg Forsters Werke, Bd. 17, a.a.O., Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, Berlin 1989:189.
Nikolaus Hartsoeker gehört zu jenen frühen Mitgliedern der Akademie, die heute nur noch wissenschaftshistorischen Spezialisten bekannt sind. Als Person ist er fast vergessen; freilich sind die von ihm benutzten neuen Methoden zur Grundlage der modernen Wissenschaft selbst geworden: eine auf geeignete Instrumente gestützte Beobachtung und die Mathematik. Als 'Mikroskopiker' hatte Hartsoeker mit diesen neuen optischen Hilfsmittel im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts wichtige Entdeckungen in der Anatomie der Säugetiere und bei Kleinstlebewesen machen können. Mikroskop und Medaille von Leeuwenhoek.
Schon als junger Naturforscher faszinierten ihn die Konstruktion des Mikroskops und die Möglichkeiten seiner Anwendung. Er baute selbst einfache Mikroskope und beobachtete mit ihrer Hilfe - vermutlich schon als Sechzehnjähriger - was in der Folgezeit 'Spermatierchen' genannt wurde. Seine Beobachtung überraschte ihn so, daß er sie zunächst geheimhielt. (1) 1678 soll er Huygens während seiner Studienzeit in Leiden davon berichtet haben, woraufhin dieser ihn mit nach Paris nahm, um ihn der adligen und gelehrten Gesellschaft vorzustellen. Huygens war überdies geschickt und wohl auch skrupellos genug, die von Hartsoeker stammende Erkenntnis ohne Angabe der Quelle im Journal des savants zu publizieren. Erst als dieser protestierte, erschien am 29. August 1678 ein zweiter Text mit der Richtigstellung. Nicht zuletzt wegen der Unzulänglichkeiten der Mikroskope führten die Beobachtungen der Struktur von Spermien zu uns heute sehr spekulativ anmutenden Deutungen.
So meinte Leeuwenhoek in den Spermien eines "gesunden Mannes ... eine große Anzahl kleiner Tierchen" sehen zu können (2), Homunculus von Hartsoeker (1694) welche die Strukturen für das künftige Lebewesen bereits vollständig enthalten. Die frühen Beobachtungen mit dem Mikroskop gaben der Präformationstheorie seit der Mitte des 17. Jahrhunderts neuen Auftrieb, denn man entdeckte solche präformierten Strukturen bei vielen Tier- und Pflanzenarten und auch in der Gestalt befruchteter Eizellen. Gleichwohl brachte das Mikroskop die Gelehrten einer gemeinsamen Wahrheit nicht näher: Wer besser sieht, kann sich umso ausgiebiger über die Interpretation dessen streiten, was mit dem Auge wahrgenommen worden ist.
Das Lager um Hartsoeker, zu dem auch Leeuwenhoek, Leibniz und Boerhave gehörten, deutete die Strukturen in den 'Samentierchen' als präformiertes Leben künftiger Generationen, das im weiblichen Organismus lediglich die für das Wachstum nötige Nahrungsgrundlage findet. Die 'Ovulisten' hingegen - Malpighi, Swammerdam und Vallisnieri - vermuteten gestützt auf die Beobachtung der Entwicklung von Insekteneiern durch Swammerdam im Ei diese präformierten Strukturen für das sich entwickelnde Leben. Ganze 100 Jahre währte dieser Streit. (3) Wir wissen, daß beide Theorien, so gut sie auch empirisch gestützt schienen, falsch sind. Es scheint mithin fast weise Voraussicht, daß Nikolaus Hartsoeker unter Leibnizens Präsidentschaft 1703 nicht als Mikroskopiker, sondern für seine Verdienste als Hofmathematiker des Kurfürsten von der Pfalz in Düsseldorf zum abwesenden Mitglied in die Akademie berufen wurde, nachdem er bereits 1699 auswärtiges Ehrenmitglied in der erneuerten französischen Akademie geworden war.
(1) Vgl. Illustrierte Geschichte der Medizin, Bd. 4, Erlangen 1992, S. 1900-1904.
(2) Illustrierte Geschichte der Medizin, Bd. 4, S. 1901.
(3) Vgl. Geschichte der Biologie, hrsg. von Ilse Jahn, Rolf Löther und Konrad Senglaub, Jena 1982:221-225.
Am 19. Januar 1711 wurde die Preussischen Societät der Wissenschaften durch Friedrich Wilhelm I feierlich eingerichtet. Bereits zehn Tage später begannen die regelmäßigen Sitzungen und die Klassen beschlossen ihre ersten Vorhaben. Hierzu gehörten die astronomischen Beobachtungen im Observatorium und die anatomischen Untersuchungen im Theatrum anatomicum. Die höchsten Anforderungen wurden allerdings an die deutsche Klasse gestellt. Ihr war vom König bei der Einweihung ausdrücklich die Aufgabe zugewiesen worden, ein vollständiges deutsches Wörterbuch herauszugeben. Gegen Ende des Jahres 1711 verfaßte der Mitbegründer der Societät und Direktor der Philologisch-Orientalischen Klasse Daniel Ernst Jablonski den "Entwurf eines deutschen, von der Preussischen Societät der Wissenschaften herauszugebenden Wörterbuchs" (1). Weder der König noch der Verfasser dieses Memorandums werden vermutet haben, daß der Anlauf bis zum glücklichen Abheben des Projektes 150 Jahre dauern würde.
(1) Zit. nach: A. v. Harnack: Geschichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1900, Bd. II:223.
Deutsches Wörterbuch
Die "teutsche Zunft" (Klasse) begann zügig mit den Beratungen über die Realisierung des königlichen Auftrages. Sie wollte ein Wörterbuch erarbeiten, das die deutsche Rechtschreibung bündig festlegt und den Sinn von Fremdwörtern erklärt. Bald schon stellte sich heraus, daß es an geeigneten Bearbeitern fehlte. Man beschloß deshalb in einem ersten Schritt, Übersetzungen von Klassikern anzufertigen. (1) Das mit Tacitus' "Germania" begonnene Unterfangen blieb jedoch stecken und wurde 1721 ganz eingestellt. Leider kam auch die orientalisch-theologische Klasse mit der Bibelübersetzung bzw. der Revision der Lutherischen Bibelausgabe nicht recht voran. So war es umso schmerzlicher sehen zu müssen, daß die Wörterbuchproduktion außerhalb der Akademie durchaus gedieh. 1712 veröffentlichte Johann Leonhard Frisch sein deutsch-französisches Wörterbuch und 1737 erschien das von Johann Georg Wachter erarbeitete "Glossarium Germanicum".
Unter Friedrich II, der als Verächter der deutschen Sprache galt, stellte die Akademie das Wörterbuchunternehmen ganz zurück, wenngleich einzelne Mitglieder weiterhin das Ziel verfolgten, Deutsch als Wissenschaftssprache zu etablieren und die Forschungen zur deutschen Sprache fortzusetzen. Der günstige Augenblick kam allerdings erst mit der Inthronisierung Friedrich Wilhelms II. Nun unternahm der neue Kurator Graf Hertzberg mit aller Macht die 'Germanisierung' der Akademie.
1787 richtete man eine "Deutsche Deputation" ein, in der die deutschen Geisteswissenschaftler zusammengefaßt waren. Kern des Hertzbergschen Planes war es, sich ebenso wie die Akademien Frankreichs, Spaniens, Rußlands und der Toskana mit der Erarbeitung von landesprachlichen Wörterbüchern zu befassen. Zu den wichtigsten Aktivitäten der bis 1795 bestehenden "Deutschen Deputation" zählte die Herausgabe der "Beiträge zur deutschen Sprachkunde" unter Beteiligung von Karl Philipp Moritz, Wilhelm Abraham Teller, Friedrich Gedike und Johann Friedrich Zoellner sowie die Veröffentlichung der "Sammlung der deutschen Abhandlungen". (2) Doch blieben diese Bemühungen ein kurzes Intermezzo: Durch das neue Statut von 1795 wurde das Französische wieder Amtssprache in der Akademie. Das Projekt "teutsches" Wörterbuch war erneut über Vorarbeiten nicht hinausgekommen.
In den Vorschlägen zur Reformierung der Akademie seit 1807 und den Statuten von 1812 wurde die Wissenschaftssprache in der Akademie nicht mehr vorgeschrieben und die Akademie nationalisierte sich ohne einen strategischen Plan. Dies mag auch der Grund sein, weshalb die Überlegungen zur Herausgabe eines deutschen Wörterbuches außerhalb der Akademie in der 1821 gegründeten "Gesellschaft für deutsche Sprache" weiterbetrieben wurden. (3) Erst als die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit ihrer Übersiedlung nach Berlin 1841 beide den Status der ordentlichen Mitgliedschaft erlangt hatten, begann in der Akademie die Ausarbeitung für ein "Deutsches Wörterbuch".
Mit diesem Vorhaben wurde die deutsche Wortforschung wissenschaftlich begründet. Die Erstausgabe des 'Grimm' erschien von 1854 bis 1960 in 32 Bänden. In den 1950er Jahren begannen an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Vorbereitungen für eine zeitbedingt notwendige Neubearbeitung der von den Grimms selbst erarbeiteten Buchstaben A bis F - Jacob Grimm war bei seiner Arbeit bis zum Artikel Frucht gekommen. 1965 erschien die erste Lieferung mit den Artikeln A bis Abenteuer. Inzwischen liegen von den durch die Akademien in Berlin und Göttingen zu erarbeitenden zehn Bänden immerhin fünf abgeschlossen vor.
(1) Vgl. A. v. Harnack: Geschichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1900, Bd. 1.1:177f.
(2) Vgl.: Conrad Grau: Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Heidelberg, Berlin, Oxford 1993: 120.
(3) Vgl. A. v. Harnack: Geschichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, a.a.O., Bd. 1.2:677.
Die Unterzeichneten beantragen, den ordentlichen Professor an der Technischen Hochschule in Dresden, Dr.-Ing und Dr.-Ing. e.h. Dr. rer. pol. h.c. Adolf Nägel zum auswärtigen ordentlichen Mitglied der phys.-math. Klasse zu wählen.
Am 16.12.1875 in Döhlen, Bez. Dresden geboren, absolvierte Nägel das Gymnasium in Dresden und studierte das Fach des Maschinenwesens an der dortigen Technischen Hochschule. Nach bestandener Diplomprüfung 1901 wurde er Assistent am Lehrstuhl für Wärmekraftmaschinen, später am Laboratorium für theoretische Maschinenlehre. 1906 promovierte er mit einer Untersuchung über die Zündgeschwindigkeit explosibler Gasgemische; 1907 folgte seine Habilitation an der Dresdner Hochschule mit einer Arbeit betreffend "Versuche an der Gasmaschine über den Einfluß des Mischungsverhältnisses". Diese in den Forschungsheften des VDI erschienenen Arbeiten ergaben tiefgehende Einblicke in die bei den Verbrennungsmaschinen obwaltenden Verhältnisse; sie rückten Nägel in die erste Reihe der forschenden Ingenieure und führten dazu, daß er schon ein Jahr später (am 1.4.08) auf den ordentlichen Lehrstuhl für Kolbenmaschinen an der Technischen Hochschule in Dresden berufen wurde.
Dem in den vorerwähnten Arbeiten behandelten Gebiet der Verbrennungsmaschinen ist Prof. Nägel weiterhin treu geblieben. Den deutschen Gasmaschinenbau hat er durch seine stets auf wissenschaftlichen Ergebnissen aufbauenden Anregungen in hohem Maße gefördert. Große Bedeutung haben Nägels Arbeiten für den deutschen Dieselmotorenbau gewonnen. Seine Veröffentlichungen sind Rechenschaftsberichte über die Erfolge auf diesem Gebiet; darüber hinaus waren sie richtungsweisend für den weiteren Fortschritt. Wesentlich sind auch die Ergebnisse seiner ausländischen Studienreisen, die er zu einer fruchtbaren Analyse der Wege und Ziele des ausländischen Dieselmotorenbaues ausgewertet hat. Kennzeichend für die wissenschaftliche Methodik und Experimentierkunst Nägels ist eine zusammen mit Mollier in den Jahren 1912-14 und 1919-22 ausgeführte umfassende Arbeit über den Wärmedurchgang zwischen Dampf und Zylinderwand bei der Gleichstrom-Dampfmaschine. Hierbei wurde zum ersten Male der Temperaturgang auf thermoelektrischem Wege registriert und so ein genaues Bild vom Wärmehaushalt der Maschine gewonnen.
Über die Grenzen seines Faches hinaus hat sich Nägel mit den allgemeinen Fragen der technisch-wissenschaftlichen Forschung eingehend beschäftigt. Dies führte 1928 zu seiner Wahl in den Vorstand des Vereins Deutscher Ingenieure, der ihn 1930 zu seinem Kurator ernannte und ihm damit die Oberleitung seiner umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit anvertraute. Seinen Weitblick und die Sicherheit seines Urteils in den Angelegenheiten technisch-wissenschaftlicher Forschung hat sich seinerzeit auch die Physikalisch-Technische Reichsanstalt durch die Berufung Nägels in ihr Kuratorium und weiterhin die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Notgemeinschaft) zunutze gemacht, deren Hauptausschuß er seit einer Reihe von Jahren angehört.
Nehmen wir noch seine Arbeiten zur Frage der Reform der Technischen Hochschule und über die Ausbildung des akademischen Ingenieursnachwuchses hinzu, so gewinnen wir das abgerundete Bild eines Mannes, der auf der sicheren Grundlage hervorragender Leistungen in seinem Fache stehend, ein weit darüber hinausreichendes allgemeines Interesse an der Wissenschaft bekundet und an ihrer Förderung tatkräftig und uneigennützig mitarbeitet. Diese Art der Betätigung Nägels läßt in Verbindung mit seinen ausgezeichneten fachlichen Leistungen erwarten, daß er unserer Akademie als auswärtiges ordentliches Mitglied wertvolle Dienste leisten wird.
W. Nernst
K. W. Wagner
gez. Becker
Planck (1)
Die auf Antrag der Physikalisch-mathematischen Klasse am 27.5.1937 erfolgte Wahl Adolph Nägels, galt einem Mann, der von sich selbst sagte, er sei "von Kindheit an auf den Beruf des Ingenieurs hingelenkt worden" und der seine "Jugendjahre sozusagen zwischen Bessemerbirnen, Martinöfen, Walzenstraßen und Dampfhämmern" verbrachte. (2) Mit seiner Wahl setzte die Akademie ihre Bemühungen fort, die Vertretung der Technikwissenschaften zu stärken, da "die Wissenschaft ihren endgültigen Wert erst durch ihre Bedeutung für das Leben gewinnt, und ... den Forscher, der sich um die Verwertung seiner wissenschaftlichen Arbeit bemüht, direkt auch in die Interessen der Öffentlichkeit hineinführt" - so jedenfalls Max Planck in seiner Erwiderung auf die Antrittsreden der neuen Mitglieder Kraft, Nägel und Vahlen. (3)
(1) Archiv der BBAW, Signatur: II-III, 84, Bl. 8-7
(2) Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften 1938:XCVL
(3) Sitzungsberichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften 1938:C
Maria Elisabeth Wentzel, die Witwe des 1889 verstorbenen Königlichen Baurates Hermann Wentzel wurde am 21. Dezember 1899 anläßlich des 200. Jahrestages der Akademiegründung zum Ehrenmitglied gewählt.
Aus dem Nachlaß ihres verstorbenen Gatten hatte sie der Akademie im Mai 1894 eineinhalb Millionen Goldmark gestiftet und als Grundkapital in die nach dem Ehepaar benannte "Hermann und Elise geb. Heckmann-Wentzel-Stiftung" eingebracht.
Heckmann-Wentzel-Stiftung
Die im Mai 1894 gegründete Hermann und Elise geb. Heckmann-Wentzel-Stiftung existiert trotz der inflationären und politischen Wirren, die das 20. Jahrhundert mit sich brachte, noch heute. Sie verfolgt nunmehr "den Zweck, durch Gewährung der erforderlichen Mittel oder Zuschüsse dazu die Ausführung wichtiger wissenschaftlicher Forschungen und Untersuchungen der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften zu ermöglichen oder zu fördern und die Ergebnisse der mit Hilfe von Stiftungsmitteln ausgeführten Arbeiten im Interesse der Wissenschaft zu veröffentlichen." (1) Die Stiftung hat in den vergangenen Jahren mit ihren bescheidenen Mitteln ein breites Spektrum von wissenschaftlichen Vorhaben unterstützt. Hierzu gehören die Publikation der Werke des Aufklärers Karl Philipp Moritz, der Korrespondenz Alexander von Humboldts mit Polen oder des Corpus von Dokumenten der Natio Germanica an der Universität Bologna wie auch die Förderung eines naturwissenschaftlichen Forschungsvorhabens, das sich mit dem "Einsatz des harmonischen Radars bei Navigationsexperimenten mit Bienen" befaßt hat.
Für wissenschaftliche Unternehmungen in der Akademie haben Stiftungen seit 1860 eine wichtige Rolle gespielt. In diesem Jahr wurde die Alexander von Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen gegründet, deren Stiftungskapital durch eine weltweit angelegte Sammlungsaktion zusammengetragen wurde. Insgesamt sind bei der Akademie im Laufe ihrer dreihundertjährigen Geschichte vierunzwanzig Stiftungen eingerichtet worden. Gründer dieser Stiftungen waren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Stadt Berlin und nicht zuletzt die Industrie. (2) Die hohe Bedeutung, welche der Humboldt-Stiftung für die naturwissenschaftliche Forschung zukam, als sie wichtige Expeditionen in weitgehend unbekannte Erdregionen ermöglichte, bei denen eine Vielzahl biologischer, geographischer und astronomischer Erkenntnisse gewonnen werden konnte, hat allerdings keine der späteren Stiftungen mehr erlangt. Zumal in der Gegenwart haben sich die großen Mäzene in der Wissenschaftslandschaft rar gemacht. Wenn dies auch mit dem Verlust an Kulturbedeutung einer immer fragmentierter, spezialisierter, fachorientierter und undurchschaubarer werdenden wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion zu tun hätte, wäre es im wohlverstandenen eigenen Interesse von Wissenschaft und Forschung dringend geboten, eine breite öffentliche Diskussion über die an wissenschaftliches Wissen geknüpften Hoffnungen, Befürchtungen, Leistungen und Ziele zu führen.
(1) Statut der Hermann und Elise geborene Heckmann-Wentzel-Stiftung von 1994, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1994, Berlin 1995:461f.
(2) Siehe: Werner Hartkopf, Gert Wangermann: Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990 Berlin, Heidelberg, New York 1991:27-30.
Karl Eduard Zachariae von Lingenthal lebte von 1812 bis 1894. Er war seit 1866 Korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und einer der größten deutschen Rechtshistoriker. Daß er schon von seinen Zeitgenossen verkannt wurde und heute weitgehend vergessen ist, liegt zweifellos an dem aus heutiger Sicht bizarren Gegenstand, dem Zachariae sein Leben widmete: der byzantinischen Rechtsgeschichte. Von der Rechtsgeschichte des byzantinischen Rechts war 1812, als Zachariae geboren wurde, kaum mehr bekannt als das, was während der Renaissance von den humanistischen Juristen ausfindig gemacht und veröffentlicht worden war. Nämlich eine kleinere Zahl von Gesetzen und Rechtsbüchern in griechischer Sprache. In der Sache handelte es sich um Übersetzungen römischer Rechtstexte ins Griechische, Übersetzungen, die seit dem 6. Jahrhundert in dem aus dem oströmischen Reich herausgewachsenen byzantinischen Staat angefertigt und bis ins 15. Jahrhundert bearbeitet und überliefert worden waren. Die humanistische Jurisprudenz war an diesen Texten interessiert, weil mit ihnen das damals fast überall in Europa mindestens subsidiär geltende römische Recht kritisiert, ergänzt und verbessert werden konnte. Die Literaturgeschichte, der innere Zusammenhang und der juridische Rang dieses "griechisch-römischen Rechts", wie es die Humanisten nannten, war demgegenüber weniger wichtig und blieb weitgehend unbeachtet.
Als Zachariae starb, hatte er nicht nur die gesamte, bis dahin weitgehend unbekannte Textüberlieferung erforscht und die meisten Gesetze und Rechtsbücher erstmals richtig analysiert und datiert, sondern er hatte sie auch zu einem großen Teil aus den Handschriften herausgegeben und außerdem eine im 20. Jahrhundert nicht ersetzte "Geschichte des Griechisch-Römischen Rechts" verfaßt. Die byzantinische Rechtsgeschichte hatte am Ende dieses Gelehrtenlebens ihre kanonischen Texte, ihre Chronologie und ihre Fragen. Einen kleinen Teil dieser großartigen Leistung hat Zachariae als Professor in Heidelberg erbracht. Dort war er 1834 promoviert und 1836 habilitiert worden. 1845, mit 32 Jahren, nahm er wieder Abschied vom Professorenamt. Sein Vater, der berühmte und kurz vor seinem Tode geadelte Geheimrat und Rechtsprofessor Karl Salomo Zachariae von Lingenthal, hatte ihm ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Dieses nutzte der Sohn zum Ankauf einer Hälfte des Schlosses Großkmehlen bei Ortrand (in der damaligen preußischen Provinz Sachsen). Zachariae identifizierte sich in solchem Umfang mit seinem neu erworbenen Gut, daß er nicht nur ein anerkannter Agrarier wurde, der mit Publikationen über die preußische Agrarstatistik oder die Berechnung der Grundrente an die Öffentlichkeit trat, sondern daß er auch eine Reihe experimenteller landwirtschaftlicher Forschungen über Tabakbau, Fütterung, Düngung usw. veranstaltete. Zugleich entfaltete er eine reiche politische und administrative Tätigkeit.
Er wurde konservatives Mitglied des Erfurter Parlaments und gehörte mehrere Jahre dem preußischen Abgeordnetenhause an. Seine ökonomische Weitsicht zeigte sich in seinem hartnäckigen Eintreten für eine Verbesserung der Verkehrswege. Besonders engagierte er sich für die Belange des Eisenbahnwesens und war sogar für einige Jahre Direktor der Oberlausitzer Eisenbahn. Sein Ziel, die Erforschung des byzantinischen Rechts, hat er darüber nicht aus den Augen verloren. Diese Energie verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, daß er im orthodoxen byzantinischen Kaiserreich noch am ehesten den seiner christlichen Frömmigkeit und seinen ständischen Ordnungsvorstellungen entsprechenden Staat verwirklicht sah. Deshalb betrachtete er das byzantinische Recht anders als alle seine Vorgänger nicht als Arsenal für die Textkritik am gemeinen römischen Recht, sondern als das lebende Recht des byzantinischen Staates. Er verkannte weder das Zusammenwirken und die funktionelle Einheit von weltlichem und kirchlichem Recht in diesem Staat, noch waren ihm dessen ökonomische und politische Interessen zwischen Trapezunt, Zypern und Venedig unvertraut. Das Weiterleben des byzantinischen Rechts nach dem Fall von Konstantinopel untersuchte er ebenso wie die Nachfolge dieser Rechtskultur auf dem Balkan. Wer seine verstreuten Bemerkungen zur Entwicklung Südosteuropas unter der Türkenherrschaft und seine Reiseberichte liest, wird die Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien und in Griechenland mit anderen Augen betrachten. Zachariae hat keinen Nachfolger gefunden. Sein Erbe blieb liegen. Wäre es in Deutschland gepflegt worden, hätte sich vielleicht mancher außenpolitische Fehlgriff auf dem Balkan vermeiden lassen.
Die leibliche Spur von Zachariae ist der deutschen Geschichte zum Opfer gefallen. Wer heute von Dresden über Ortrand nach Großkmehlen in Brandenburg fährt, wird keinen Hinweis auf die Tatkraft oder den unternehmerischen Geist von Zachariae von Lingenthal entdecken. Das Grab von Zachariae ist unauffindbar. Das Schloß, welches die Erben des Gelehrten bereits 1903 veräußern mußten, ist erhalten: wuchtig und verwahrlost. Das war schon in den 70er Jahren der Fall, als H. J. Scheltema, der bedeutende niederländische Rechtshistoriker und Bewunderer von Zachariae, mit einigen Schülern den Ort aufsuchte und dem damals als Heim für Geisteskranke dienenden Schloß einen Besuch abstattete. Immerhin wurde inzwischen eine auf privater Initiative beruhende Erinnerungstafel angebracht.
Dieter Simon
Am 28.12.1801 konnte Martin Heinrich Klaproth den Neubau des Chemischen Laboratoriums der Akademie in der Dorotheenstraße 7 beziehen, wenngleich er erst zweieinhalb Jahre später, im Juni 1803, völlig fertiggestellt, wurde. (1) Im Erdgeschoß befand sich das Labor, im oberen Stockwerk lagen Räume zur Aufbewahrung der Chemikalien, Geräte und Sammlungen sowie ein Vorlesungsraum sowie eine bescheidene Wohnung für den "ordentlichen Chemiker" der Akademie.
Brauchbare Geräte gab es anfangs nur wenige; ihre Anschaffung wurde von der Größe des Gesamtbudgets der Akademie diktiert. Vielleicht in voreilender Beschränkung hatte Klaproth an stationärem Gerät auch lediglich einen kupfernen Destillierkessel, eine Presse, ein Gebläse, einen massiven Schmelzofen und einige gemauerte Öfen gefordert. Bis zur allmählichen Ergänzung mußte der Labordirektor jedenfalls seine private Experimentalausrüstung benutzen. (2) Allerdings konnte man mit dieser uns heute dürftig anmutenden Ausstattung vor zweihundert Jahren die dem Akademiechemiker gestellten Aufgaben sehr erfolgreich erledigen. An erster Stelle stand die Evaluierung fremder Forschungsergebnisse. Im Akademielabor sollten alle chemischen Entdeckungen, die der Akademie vorgelegt worden waren, experimentell nachgeprüft und im Kreis der Mitglieder diskutiert werden. So hatte etwa der an einer Hebung der Wirtschaftskraft seines Landes interessierte König verlangt, Klaproth solle die von Achard angestellten Versuche zur Rübenzuckerherstellung begutachten, was dieser mit dem bekannt positiven Ergebnis auch tat. Im übrigen war es dem Laboratoriumsdirektor freigestellt, welchen Untersuchungen er sich zuwandte.
Besonders eingesetzt hat er sich für die Prüfung und Wiederholung der theoretisch bedeutsamen Versuche Lavoisiers. Lavoisier hatte die Bedeutung des Sauerstoffs bei Verbrennungsvorgängen erkannt und daraus den Schluß gezogen, daß die damals herrschende Stahlsche Phlogistontheorie falsch ist. Neben der Bestätigung oder Falsfikation von Befunden führte Klaproths Arbeit aber auch zu eigenen Entdeckungen. So gilt er der in der Chemiegeschichte nicht nur als bedeutender quantitativer Analytiker, als 'Chemiker der Waage', sondern auch als Begründer der Mineralchemie. (3) Entgegen der herrschenden Ansicht, das Element Kalium komme nur im pflanzlichen Bereich vor, konnte Klaproth es in mineralischen Substanzen nachweisen. Auch führte er den Nachweis über die Existenz des Elements Tellur. 1803 gelang ihm im neuen Labor die Entdeckung eines chemischen Elements: er konnte das Cerium im schwedischen Tungstein nachweisen. Mit Klaproth besaß die Akademie einen weithin bekannten und anerkannten Chemiker, der emsig publizierte. Die "Pharmacopoea Borussica" und das neunbändige "Chemische Wörterbuch" gehören zu seinen großen Werken. Intensiv beteiligte er sich an den Reformbestrebungen der Akademie und war seit der Gründung der Berliner Universität auch als Chemieprofessor in der Lehre tätig.
(1) Vgl. A. v. Harnack: Geschichte der Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1900, Bd. 1.1:487f.
(2) Vgl. Hubert Laitko: Klaproth als ordentlicher Chemiker an der kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Von der Phlogistik zur modernen Chemie. Symposium aus Anlaß des 250. Geburtstages von Martin Heinrich Klaproth, Berlin 1994:150.
(3) Hermann Schelenz: Geschichte der Pharmazie, Berlin 1904, Reprint Hildesheim 1965:610.
Noch den Studenten, der sich zu Beginn der fünfziger Jahre an der Technischen Hochschule Dresden als Bauingenieur immatrikulierte, erfaßte unweigerlich in kürzester Zeit jener besondere Geist, der durch einen Mann geprägt war: Kurt Beyer. Von ihm ging eine große Faszination für den Bauingenieurberuf aus. Er war der Repräsentant der Technischen Mechanik, der Statik, des Stahlbaus. Nicht seine Weltanschauung oder seine politischen Ansichten hat er mit Nachdruck oder Eifer vertreten; er war begeisterter Bauingenieur, faszinierend auch als Lehrer und voller Verständnis für seine Studenten, die ihr Studium unter den besonderen Bedingungen absolvieren mußten, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg im Lande und an der Hochschule herrschten. Kurt Beyer vermittelte ein profundes technisches Wissens und setzte in seinen Lehrveranstaltungen, in jedem Gespräch mit Studenten Maßstäbe für das Handeln des Ingenieurs, seine Verantwortung und seine Haltung.
Bis zu seinem Tode im Jahre 1952 lebte er die Grundeinstellung vor, alle übernommenenen Aufgaben intensiv, gründlich und mit hoher Konzentration zu erledigen. Mittelmaß ließ Kurt Beyer nicht zu, ganz besonders nicht bei sich selbst. "Ich habe aber auch nie die Zeit für Erholung und Vergnügen gefunden und jede freie Stunde wochentags wie sonntags am Schreibtisch verbracht. Nur diesem rücksichtslosen Einsatz der eigenen Person ist wohl der Erfolg meines Lebens zu danken gewesen", schrieb er in einem unveröffentlichten vermutlich 1951 verfaßten Rückblick auf sein Leben. So kannten ihn die Studenten, in diesem Sinne wurden sie erzogen. Auch nach seinem Tode trugen die mit den Lehrverpflichtungen betrauten ehemaligen Assistenten diesen Geist in ihren Veranstaltungen weiter. Die Vermittlung dieses Ethos des Ingenieurs gehört sicher zu den wertvollsten Aspekten seines Wirkens an der Hochschule. Kurt Beyer wurde von seinen Studenten und Mitarbeitern bewundert und war Vorbild. "Der schönste Lohn für meine Lebensarbeit dünkt mir aber die Liebe und Verehrung meiner zahlreichen Schüler." (ebd.) Kurt Beyer wurde im Dezember 1881 in Dresden geboren.
1888 kam er zur Schule; er beendete sie mit dem Abitur an der Dreikönigsschule 1901. Es war eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs, der das Bauwesen, in Verbindung mit der Anlage von Eisenbahnen und Straßen, besonders den Brückenbau, aber auch den Industriebau förderte. Der Stahlbetonbau, der sich am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte, hatte dafür neue Möglichkeiten eröffnet. 1901 schrieb sich Beyer an der TH in Dresden als Bauingenieursstudent ein. Nicht allein, weil die Hochschule ein weithin guten Ruf besaß, waren seine Studienjahre für ihn glückliche Jahre. Er war Burschenschafter. Er nahm sein Studium sehr ernst. Und seine große mathematische Begabung gepaart mit unermüdlichem Fleiß brachten ihm 1904 den 1. Preis der Bauingenieurabteilung und eine Auszeichnung in der Diplom-Schlussprüfung ein. Ursprünglich wollte Kurt Beyer See- und Hafenbauer werden. Er hoffte auf diese Weise, die weite Welt kennenzulernen. Gegen seine eigentlichen Absichten und Interessen nahm er jedoch auf Bitten von Prof. Mehrtens die freie Assistentenstelle für Statik, Festigkeitslehre und Stahlbrückenbau an. Mit diesem Schritt betrat er das Arbeitsfeld, welches sein ganzes späteres Leben bestimmen und ausfüllen sollte. Drei Jahre hatte er die Stelle inne; während dieser Zeit arbeitete er unter anderem an seiner Dissertation. Er schloß sie 1907 - man erwartet es nun schon - mit Auszeichnung ab.
Mit dem Doktortitel versehen erfüllte er sich einen lange gehegten Wunsch: Er ging ins Ausland und wurde Sektionsingenieur bei der Siamesischen Staatsbahn. Als junger Ingenieur baute er mit an den ersten Hafenanlagen in Bangkok, der Nordlinie von Pitzanuloke nach Utaratit und Savankoloke sowie der großen Bandarabrücke über den Menam. Die Kommunikationsprobleme mit den einheimischen Arbeitskräften (Chinesen, Siamesen und Indern) machte die Ausführung der Gründungs- und Brückenmontagearbeiten zu einer großen Herausforderung. 1909 erhielt Beyer einen ganz besonderen Auftrag. Er sollte die Bauausführung eines Schlosses für den König von Siam bei Petschaburi übernehmen. Der Palastbau bedeutete damals auch, daß zuvor Straßen und Brücken sowie Ziegeleien und Steinbrüche angelegt werden mußten. Der Tod des Königs ließ das Vorhaben unvollendet bleiben. Kurt Beyer wurde bautechnischer Berater im siamesischen Innenministerium. Stahlbetonbrücken wurden entworfen und gebaut. Krankheiten zwangen ihn Ende 1913 zu einem Urlaub in Deutschland. In dieser Zeit schloss er die zweite Staatshauptprüfung als Regierungsbaumeister ab. Anschließend arbeitete er in der sächsischen Wasserbauverwaltung, meldete sich jedoch schon bald als Freiwilliger zum Kriegsdienst.
Als Mitarbeiter des deutschen Feldeisenbahnchefs wurde er in die Türkei abkommandiert, um dort Werkstätten für die Anatol- und Bagdadbahn zu bauen. Nach dem Kriege ist ihm der Entschluss, die Tätigkeit als deutscher Ingenieur im Ausland aufzugeben, sehr schwer gefallen – trotz des als ehrenvoll empfundenen Rufs auf die Professur für Statik der Baukonstruktionen und Technische Mechanik an die TH Dresden. 1919 hat Beyer diesen Ruf angenommen. Bestimmend für seine künftige Tätigkeit an der Hochschule waren die zuvor geknüpften engen Verbindungen zur Bauindustrie. In den Jahren 1920 bis 1925 arbeitete er in den Monaten August bis Oktober regelmäßig als Ingenieur in der Brückenbauabteilung der MAN, "um mir dabei diejenigen Erfahrungen anzueignen, die mir durch meine Auslandstätigkeit entgangen sind." (ebd.) Häufig verspürte er den Wunsch, von der Hochschule wieder in die Industrie und ins Ausland zu wechseln.
Daß er doch blieb, lag an den Bindungen zu seinen Kollegen und Studenten sowie der Möglichkeit, auch als Hochschullehrer auf die Tätigkeit des planenden und beratenden Ingenieurs nicht verzichten zu müssen. Mitte der zwanziger Jahre entwickelte sich der mitteldeutsche Braunkohlenbergbau, der zur Bewältigung des Abraums für die damalige Zeit riesige Geräte benötigte. Fast alle Förderbrücken, Bagger und Absetzer, die für die neuen Tagebaue (Böhlen, Espenhain u. a.) 1927 bis 1945 entworfen und gebaut wurden, entstanden unter der Mitwirkung Beyers als Sachverständigen der Bergbaugesellschaften und des von ihm 1927 gegründeten und geleiteten Ingenieurbüros. Er fand weitere Aufgaben beim Bau des Pumpspeicherwerkes Niederwartha 1928 bis 1930, der Kraftwerks- und Kohleveredlungsanlagen in Böhlen, Espenhain, Hirschfelde, Zeitz und Magdeburg sowie in Oberschlesien. Auch nach dem zweiten Weltkrieg setzte er diese Tätigkeiten fort. Er wurde zum Bau der zerstörten Dresdner Elbbrücken hinzugezogen und übernahm sogar die Leitung der Hauptabteilung Bauwesen für das Land Sachsen.
Blickt man auf Umfang und Vielfalt dieser praktischen Arbeiten, liegt der Verdacht nahe, die Verpflichtungen als Wissenschaftler und Hochschulelehrer könnten darunter gelitten haben. Gerade die enge Verbindung von wissenschaftlicher Erkenntnis und Bauerfahrung stellte freilich das berufliche Ideal dar, das Beyer verwirklichen wollte. Im Rückblick muß man sagen: dies ist ihm gelungen und das macht seine Leben so bemerkenswert für die Gegenwart. Seine wissenschaftliche Arbeit, seine Lehre wie auch seine zahlreichen Publikationen – darunter die "Statik im Stahlbetonbau", die von manchen als "Bibel des Statikers" bezeichnet worden ist – profitierten in ganz entscheidendem Maße von der praktischen Tätigkeit als Ingenieur. Es ist verständlich, dass viele Hochschulen diesen Mann auf ihre Lehrstühle für Statik, Technische Mechanik oder Stahlbau berufen wollten. Graz versuchte ihn 1926, Hannover 1933, München 1934 und Berlin 1936 zu gewinnen. Beyer blieb in Dresden. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften und die Sächsische Akademie der Wissenschaften wählten ihn zu ihrem ordentlichen Mitglied.
Wolfgang Förster