Auf der Festsitzung zu ihrem diesjährigen Einsteintag am 26. November 2010 im Nikolaisaal Potsdam verleiht die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eine Ehrenmitgliedschaft, den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gestiftet von der Monika-Kutzner-Stiftung zur Förderung der Krebsforschung sowie den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gestiftet von der Peregrinus-Stiftung (Rudolf Meimberg) für herausragende Leistungen von Wissenschaftler/innen aus den ost- und südosteuropäischen Ländern.
• Die Ehrenmitgliedschaft der Akademie wird in Anerkennung seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Lebensleistung an Professor Dr. phil. Dr. h. c. Eberhard Lämmert verliehen. Zum Ehrenmitglied der Akademie kann gewählt werden, wer sich durch seine Lebensleistung um die Wissenschaft oder ihre Anwendung in besonderer Weise verdient gemacht hat.
• Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gestiftet von der Monika-Kutzner-Stiftung zur Förderung der Krebsforschung für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Krebsforschung erhält Prof. Dr. Ulrike Stein. Der Preis ist mit 10.000 € dotiert und kann jährlich für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Krebsforschung verliehen werden.
• Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gestiftet von der Peregrinus-Stiftung (Rudolf Meimberg) für herausragende Leistungen von Wissenschaftler/innen aus den ost- und südosteuropäischen Ländern erhält Jan Maria Piskorski. Der Preis ist mit 5.100 € dotiert und kann alle zwei Jahre für herausragende Leistungen von Wissenschaftler/innen aus den ost- oder südosteuropäischen Ländern verliehen werden.
Zu den Preisträgern:
Eberhard Lämmert gehört zu den großen Gelehrten der älteren Generation in der Allgemeinen und germanistischen Literaturwissenschaft, der sich große Verdienste um die Neubegründung der Germanistik nach dem Zweiten Weltkrieg erworben hat. Er wurde 1924 in Bonn geboren und studierte Geologie und Mineralogie in Bonn sowie Germanistik, Geschichte und Geografie in München und Bonn, wo er auch promoviert und habilitiert wurde. Zunächst lehrte er von 1961 bis 1970 als Professor für Deutsche Philologie und Allgemeine Literaturwissenschaft in Berlin, wechselte dann nach Heidelberg, um schließlich von 1977 bis zu seiner Emeritierung 1992 erneut an der Freien Universität Berlin Allgemeine Literaturwissenschaft zu lehren.
Gastprofessuren führten ihn nach Aarhus (Dänemark), Princeton (USA), Cambridge (Großbritannien), St. Louis (USA) und São Paulo (Brasilien). Von 1976 bis 1983 war Eberhard Lämmert zugleich Präsident der Freien Universität Berlin, steuerte sie in sehr schwieriger Zeit und richtete in dieser Funktion auch das Institut der „Universitätsvorlesung“ für eine breitere Öffentlichkeit ein. Des Weiteren war er von 1996 bis 1999 Gründungsdirektor des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin und von 1998 bis 2004 Direktor am Forschungszentrum für Europäische Aufklärung Potsdam. In der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden wissenschaftlichen Tradition ist Eberhard Lämmert Philologe: in der Germanistik bedeutet dies, dass das Fach sowohl die ältere als auch die neuere Literatur umfasst. E. Lämmert wurde in der neueren Literatur promoviert und hat sich in der älteren (mit einer editionsphilologischen Arbeit zum Spätmittelalter) habilitiert. Seine bahnbrechende Dissertation ist eines der bedeutendsten Werke der deutschen Nachkriegsgermanistik: Die „Bauformen des Erzählens“ markieren eine wissenschaftsgeschichtliche Zäsur, weil sie die an der traditionalen Hermeneutik Diltheys orientierte Interpretation durch eine Strukturanalyse ablösen und eine moderne Narratologie begründen. Durch den verstärkten Austausch zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft konnte sich dann auch ein neuer Literaturbegriff entwickeln, der für die Folgezeit in allen Philologien wichtig wurde.
Der zweite für die Entwicklung der neueren Philologien zentrale Forschungsbereich Eberhard Lämmerts ist die moderne Fachgeschichtsschreibung. Wiederholt und zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass erst mit dem bedeutsamen Münchner Germanistentag von 1966 eine selbstkritische Analyse der Geschichte der Literaturwissenschaft einsetzte, die in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung bis heute weiterwirkt. Vor allem zusammen mit Karl Otto Conrady hat Eberhard Lämmert diesen historischen Moment noch vor der 68er-Bewegung genutzt, um auf die Notwendigkeit einer Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften aufmerksam zu machen. Über die Jahrzehnte hinweg hat Eberhard Lämmert als Wissenschaftler, Wissenschaftsorganisator, öffentlicher Intellektueller und engagierter Bürger das kulturelle Leben Berlins gefördert, im Wissenschaftsbereich der Region eine wirkungsvolle Rolle gespielt und die öffentliche Diskussion im Überschneidungsfeld von Wissenschaften, Kultur und Politik nachhaltig bereichert. Über die Jahrzehnte hinweg ist er ein herausragender Vertreter der deutschen Geisteswissenschaften auf nationaler und internationaler Ebene geblieben. Gleichzeitig blieb er der produktive Wissenschaftler – 2009 erschien der Sammelband „Respekt vor den Poeten. Studien zum Status des freien Schriftstellers“, der literaturwissenschaftliches und historisches Denken verbindet und seinem Fach unverwechselbare Anstöße gegeben hat. Er gehört zu den Mitbegründern eines neuen Faches, der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, an der Freien Universität Berlin.
Nach 1990 setzte er sich konzeptionell, organisatorisch und politisch-öffentlich für eine angemessene Form der Eingliederung der ostdeutschen Wissenschaften und Wissenschaftler ein. Er gehörte zu den aktiven Unterstützern der „Geisteswissenschaftlichen Zentren“, die in Berlin, Potsdam und Leipzig gegründet wurden. Ob als langjähriger Präsident der Deutschen Schillergesellschaft, ob als Präsident der Freien Universität Berlin, als Mitglied im Kuratorium des Einstein Forums Potsdam, des Kuratoriums und des Vorstandes des Deutschen Akademischen Austauschdienstes oder als Gründungsdirektor des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin – wohl kaum ein anderer seiner Generation hat sich in dieser Weise um die Zukunft der geisteswissenschaftlichen Forschung verdient gemacht wie Eberhard Lämmert. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften würdigt diese Lebensleistung mit seiner Wahl zum Ehrenmitglied.
Ulrike Stein, Jahrgang 1961, hat in Halle Biochemie studiert (1979-1984) und war anschließend bis 1991 als wissenschaftliche Angestellte am Zentralinstitut für Krebsforschung in Berlin tätig. In diese Zeit fallen nach dem Erziehungsurlaub eine Fachwissenschaftlerausbildung in Medizinischer Biochemie, ein Forschungsaufenthalt am Onkologischen Institut in St. Petersburg (1989) sowie der Besuch der Europäischen Sommerschule am UICC, Lyon/Frankreich (1990). 1991 wurde sie an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert und qualifizierte sich im selben Jahr an der Akademie für Ärztliche Fortbildung Berlin zur Fachbiochemikerin der Medizin. 1992/93 war sie Post-Doc am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin, und ging anschließend zu einem Forschungsaufenthalt an das National Cancer Institute, Frederick, MD, USA (1994/95). Ab 1996 übernahm sie die Leitung verschiedener Arbeitsgruppen, zunächst am MDC (1996-2000), dann an der Robert-Rössle-Klinik der Charité Universitätsmedizin Berlin (2000-2006), schließlich seit 2007 am Experimental and Clinical Research Center der Charité am MDC. Sie weilte in dieser Zeit wiederum mehrfach zu Forschungsaufenthalten in Frederick. 2003 erfolgte die Habilitation im Fach Biochemie. 2009 wurde sie zur Außerplanmäßigen Professorin der Charité Universitätsmedizin Berlin ernannt.
Ulrike Stein hat sich auf Themen der Krebsforschung spezialisiert und fokussiert ihre Arbeiten insbesondere auf das kolorektale Karzinom. Sie entdeckte ein bisher nicht beschriebenes Gen in Patienten mit Darmkrebs. Das unter ihrer Federführung mittels Genom-weitem Screening identifizierte Gen MACC1 erwies sich als ein unabhängiger, hoch prädiktiver Indikator für das Metastasierungsverhalten und das metastasenfreie Überleben von Dickdarmpatienten. Es erlaubt eine frühe Identifizierung von Hochrisiko-Patienten bezüglich der Entwicklung von Metastasen. Gleichzeitig konnte Ulrike Stein die wesentlichen molekularen und zellbiologischen Mechanismen, wie MACC1 Tumormetastasierung initiiert, aufklären. Derzeit arbeitet sie an der patentbasierten Umsetzung dieses neuen Therapieprinzips der MACC1-Inhibition für die klinische Behandlung von Patienten mit Dickdarmkarzinom. Ihre Forschungsergebnisse publizierte sie in hervorragenden Zeitschriften (Nature Medicine, Journal of Clinical Oncology, Cancer Research). Sie ist sehr erfolgreich bei der Drittmitteleinwerbung und Patentanmeldung, ist aktiv in der Lehre und fungiert als Gutachterin, Betreuerin und Fachvertreterin im In- und Ausland.
Jan Maria Piskorski ist als Mediävist ein Vertreter der namhaften Posener Schule der polnischen Geschichtswissenschaften, die traditionell die Geschichte der Germania Slavica in ihre Forschungstätigkeit einbezieht. Er forscht aber auch zu zeithistorischen und geschichtspolitischen Fragen und gehört zu den produktivsten und streitbaren Historikern auf all diesen Gebieten.
J. M. Piskorski studierte von 1976 bis 1979 Geschichte, Archivwesen, Slawistik und Latein in Pozna´n. Nach der Promotion ging er 1988-1989 an die Universität Göttingen. 1991 habilitierte er sich in Pozna´n mit einer Arbeit über die ländliche Kolonisation Pommerns im Mittelalter im Kontext der europäischen Migrationsprozesse. Seit 2003 ist er Professor für Vergleichende Geschichte Europas an der Universität Szczecin. Zugleich nahm er viele andere verantwortliche Aufgaben wahr: Er war stellvertretender Vorsitzender der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der UNESCO, Vorsitzender der Menschenrechtsstiftung „Humanity in Action, Poland“, Direktor des wissenschaftlichen Verlags PTPN, Gastprofessor an den Universitäten Mainz und Halle. Von den Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte her kommend, beschäftigt sich Piskorski stetig mit den deutsch-polnischen Begegnungen in einem immer breiteren thematischen und zeitlichen Kontext. Auch geographisch verlagerte sich sein wissenschaftliches Interesse vom südlichen Ostseeraum in immer größere gesamteuropäische Zusammenhänge. Dabei gelingt es ihm, mikrohistorische Prozesse auch im großen Rahmen zur Geltung zu bringen. Wie in einer fotographischen Nahaufnahme werden der Mensch und das Menschliche der Geschichte dort sichtbar, wo sonst die Masse, der Prozess und die Struktur überhand zu gewinnen scheinen. Besonders deutlich kommt diese Perspektive in seinem jüngst erschienenen Buch über Zwangsmigrationen im Europa des 20. Jahrhunderts zum Vorschein. Literarische Form und Dramaturgie helfen dort, schwierigste Probleme der europäischen Geschichte verständlich zu machen, ohne sie zu vereinfachen. Es ist eines von Piskorskis Hauptverdiensten, dass er die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit der breiten Öffentlichkeit klar und anspruchsvoll zugleich zu vermitteln vermag. Seine historischen Essays erscheinen in wichtigen Kulturzeitschriften Polens, aber auch Deutschlands oder Spaniens. Kritisch setzt sich Piskorski mit Auswüchsen des nationalen Denkens jedweder Couleur und jeder Provenienz auseinander.
Wichtig ist auch sein Beitrag zur Förderung der Übersetzung insbesondere der deutschsprachigen Fachliteratur ins Polnische. In seiner Forschungsarbeit, die aktuelle Traditionskritik und profundes Quellenstudium zu verbinden vermag, geht er Fragen der deutsch-polnischen und anderer Nachbarschaften nach und bedient sich dabei produktiv der beziehungsgeschichtlichen und vergleichenden Methoden. Sein großes internationales Ansehen verdankt er nicht allein seiner fachlichen Leistung und seiner Position in der traditionsreichen Posener Schule, sondern auch seinem mutigen Engagement in den aktuellen geschichtspolitischen Debatten über die deutsch-polnischen Beziehungen, deren Zukunftsaussichten und Gefährdungen. Er gilt als Hoffnungsträger für die weitere deutsch-polnische Annäherung als politische und gesellschaftliche Aufgabe.
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