Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe (IAG) „Gentechnologiebericht“ beobachtet die Entwicklung der Gentechnologie in Deutschland langfristig – indikatorenbasiert – interdisziplinär. Im Einzelnen wurden und werden dabei neben der Grundlagenforschung ganz unterschiedliche Themenbereiche bearbeitet:
Grüne Gentechnologie
Kein anderer Aspekt der Gentechnologie ist hierzulande – wie in ganz Europa – so umstritten wie die Züchtung und die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Indessen entwickelt sich die grüne Gentechnik weltweit rasant weiter und die Züchter arbeiten bereits an gentechnisch veränderten Pflanzen der zweiten und dritten Generation. Hierzu zählen Pflanzen mit Inhaltsstoffen für eine gesündere Ernährung (Funktional Food), für eine medizinische Nutzung (Plant Made Pharmaceuticals) oder die Verwendung in der chemischen Industrie (Plant Made Industrials). Die IAG arbeitet zunächst den aktuellen Stand der technologischen Entwicklung der grünen Gentechnik und ihrer Anwendung auf. Von wissenschaftlichem Interesse ist außerdem die Risikodebatte mit all ihren rechtlichen, sozialen, politischen, ökonomischen, ökologischen und ethischen Aspekten.
Stammzellforschung
Auf dem Gebiet der Zell- und Entwicklungsbiologie wurden in den letzten 25 Jahren wesentliche Erkenntnisse gewonnen. Das bekannte Klonschaf „Dolly“ ist nur ein Meilenstein unter vielen anderen. Wegen der großen Potenziale der Stammzellforschung für zukünftige Strategien der regenerativen Medizin sind besondere Anstrengungen in wissenschaftlicher, finanzieller und organisatorischer Hinsicht erforderlich. Der Erfolg dieser Anstrengungen wird in erheblichem Umfang von den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und den gesetzlichen Grundlagen abhängen. Wichtig ist dabei die verantwortungsvolle Diskussion ethischer Grundprinzipien und die fachgerechte Vermittlung und Verankerung neuer Technologien in der Gesellschaft. Für die IAG gilt es, mittels Indikatoren sowohl den Stand des Wissens und der Technik aufzuarbeiten als auch einzelne Anwendungsfelder wie Grundlagen- und angewandte Forschung beziehungsweise Stammzelltherapien zu beschreiben oder ethische Implikationen und rechtliche Rahmenbedingungen der Forschung mit menschlichen Embryonen in den Blick zu nehmen.
Synthetische Biologie
Spätestens seit Craig Venter im Mai 2010 seine Ergebnisse zu einem künstlich synthetisierten bakteriellen Genom publikumswirksam veröffentlichte, ist die Synthetische Biologie stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Zeitungen titeln von künstlichem Leben aus dem Labor und Forscherinnen und Forschern im Schöpfungsrausch, die am Erbgut von Bakterien und Viren basteln. Es ist von maßgeschneiderten Mikroben die Rede, die in Zukunft Biokraftstoffe, Medikamente, Lebensmittel und noch vieles mehr produzieren werden. Die Liste an Verheißungen der Synthetischen Biologie ist lang, aber was genau verbirgt sich hinter dieser Disziplin und was kann sie für Deutschland leisten? Dieser Frage geht die Arbeitsgruppe aktuell aus unterschiedlichen Perspektiven nach, um die Synthetische Biologie im gegenwärtigen Spannungsfeld zwischen den skizzierten Risiken und Hoffnungen zu kartographieren. Sie greift dabei die kontroversen Positionen zur Einordnung der noch jungen Disziplin in die aktuelle gentechnologische Forschung auf und beleuchtet den gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand und ihre prognostizierten Anwendungen. Außerdem strebt die Arbeitsgruppe eine intensive ethische Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Leben und Natürlichkeit in diesem Forschungsbereich an. Ein weiterer Themenschwerpunkt ist die mediale Präsenz und gesellschaftliche Wahrnehmung der Synthetischen Biologie in Deutschland.
Gendiagnostik
Die molekulargenetische Diagnostik erlaubt es unter anderem, genetisch bedingte Ursachen oder Veranlagungen zu Krankheiten bereits lange vor Ausbruch der eigentlichen Krankheit zu bestimmen. Hierbei wird zwischen diagnostischen Tests (zur Feststellung einer konkreten Erkrankung) und prädiktiven Tests (zur Prognose eines Krankheitsrisikos) unterschieden. Die Gendiagnostik ist derzeit die wichtigste Anwendung der Gentechnologie in der Medizin. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens gibt es kaum eine Erkrankung, an der Erbanlagen nicht beteiligt sind. Zweitens entwickelt sich die genetische Diagnostik in atemberaubendem Tempo. Gleichzeitig beunruhigen die noch unabsehbaren diagnostischen Möglichkeiten schon jetzt viele Menschen, wie die Debatte um die vorgeburtliche Diagnostik zeigt. Die Arbeitsgruppe dokumentiert die wissenschaftliche und technische Entwicklung der genetischen Diagnostik sowie die möglichen Anwendungen einschließlich ihrer rechtlichen Dimensionen. Weitere Punkte sind: die forensische Anwendung der Molekulargenetik, die Präimplantationsdiagnostik, die gesundheitsökonomische Perspektive und die Möglichkeit eines präventiven Zwangs.
Gentherapie
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit haben sich im Bereich der Gentherapie neue klinische Entwicklungen ergeben: Vor allem bei einzelnen monogen bedingten Erkrankungen gelangen wesentliche Fortschritte bei der klinischen Anwendung. Der Forschungsschwerpunkt liegt allerdings immer noch im Grundlagenbereich, das heißt vor allen in den Vektor- und Gentransfertechnologien. Dabei erfolgt zunehmend eine Diversifizierung hinsichtlich unterschiedlicher Anwendungen, so dass neue Technologien für gezielte Genreparaturen eine verbesserte Effizienz zeigen und in näherer Zukunft klinische Reife erlangen könnten. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem aktuellen Stand der Forschung und des Potenzials gentherapeutischer Anwendungen in Deutschland. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht dabei die somatische Gentherapie; gleichwohl werden Fragen nach gentechnischen Eingriffen in die menschliche Keimbahn vor allem im Zusammenhang rechtlicher und forschungsethischer Fragen thematisiert.
Epigenetik
Die Erbsubstanz vieler Viren, Bakterien, Pflanzen, Tiere und auch die des Menschen ist in den letzten zwei Jahrzehnten sequenziert worden. Wir wissen jetzt, welche Gene diese Organismen besitzen. Allerdings ist unser Wissen über die genaue Funktion einzelner Gene und über die komplizierten Kontrollmechanismen, die sie an- und ausschalten, immer noch unvollständig. Die Epigenetik als Forschungsfeld der modernen Biowissenschaften beschreibt Kontrollmechanismen, die nicht im genetischen Code unser Gene festgelegt sind. Stattdessen beeinflussen hier strukturelle Veränderungen an der Erbsubstanz die Aktivität einzelner Gene. Zwei Zellen mit an sich gleichen Genen können dann ganz unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Epigenetische Muster sind – im Gegensatz zu konkreten Mutationen von Genen – veränderlich. Äußere Faktoren wie Umwelteinflüsse spielen hier eine Rolle. Diese von der Umwelt geprägten Eigenschaften können auch auf die nachfolgenden Generationen vererbt werden, denn epigenetische Muster werden mit der Erbsubstanz weitergegeben. Im Sinne des interdisziplinären Ansatzes der Arbeitsgruppe werden der aktuelle Stand der Forschung und die Anwendungsfelder der Epigenetik in Deutschland aufgearbeitet sowie ihre forschungsethischen Implikationen und die gesellschaftliche Wahrnehmung in den Blick genommen. Ein spannender Aspekt ist dabei die philosophische Dimension des Themas, die sich aber nur schwer in objektiven Indikatoren fassen lassen wird.
Indikatoren: Das Werkzeug des „Gentechnologieberichts”
Zu all diesen Themen ist zwar eine schier unüberschaubare Menge an Daten und Analysen verfügbar, doch gerade diese Komplexität erschwert eindeutige Aussagen. Um dieses Dickicht zu lichten, wurden und werden geeignete Indikatoren ausgewählt, mit deren Hilfe Sachverhalte abgebildet werden können, die ansonsten nicht direkt messbar sind. Beispielsweise kann die Bedeutung der Gentechnologie und ihrer verschiedenen Anwendungen durch einen Satz unterschiedlicher Indikatoren und Daten sehr gut beschrieben und analysiert werden. Die Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ erhebt die hierbei erforderlichen Primärdaten nicht selbst, sondern nutzt vorhandene Veröffentlichungen und Datenquellen zur Auswertung.
Ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen an Politik, Wissenschaft und Wirtschaft dokumentiert die Arbeitsgruppe in einer Veröffentlichungsreihe, die mit dem ersten deutschen Gentechnologiebericht im Jahr 2005 ihren Anfang nahm und seither kontinuierlich ergänzt wurde. Mit ihrer interdisziplinären Herangehensweise soll diese Reihe zu einer Moderation der öffentlichen Debatte dieser wichtigen und dennoch in Teilbereichen auch sehr umstrittenen Hochtechnologie in Deutschland beitragen.