Arbeitsbericht 2004


Peter Nötzoldt


Aufstieg und Niedergang der Neugründung


Das Projekt ist Bestandteil eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Vorhabens zur Aufarbeitung ihrer Geschichte. Das Gesamtprojekt trägt die Überschrift „Die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft von den 1920er bis in die 1970er Jahre“. Es wird von einer unabhängigen Forschergruppe mit Arbeitsstellen in Berlin, Freiburg, Heidelberg, München und Braunschweig bearbeitet. Die wissenschaftliche Betreuung der Berliner Projekte zur Institutionengeschichte liegt in den Händen von Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität). Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften unterstützt das Vorhaben, indem sie die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung dieses Teilprojektes gewährleistet. Das Vorhaben – über das bereits in den letzten zwei Jahrbüchern ausführlich berichtet wurde – steht nun vor dem Abschluß. Erste zusammenfassende Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt.

Mindestens vier Gründe lassen sich dafür anführen, warum sich die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (NG), neben den Akademien der Wissenschaften, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) und den Hochschulen, relativ schnell zu einem festen Bestandteil der deutschen Wissenschaftsorganisation in der Weimarer Republik entwickelte:

  • Die Genese der NG und der entscheidende Durchbruch bei der Verlagerung der staatlichen Forschungsförderung von den Ländern zum Reich verliefen komplementär. De facto übernahm die Notgemeinschaft die Aufgaben einer Wissenschaftsbehörde des Reiches (Forschungsförderung, auswärtige Kulturbeziehungen etc.) und avancierte damit zu einem unverzichtbaren Bestandteil in der Argumentation und Praxis der Befürworter einer aktiven Reichskulturpolitik. Auf dieser Basis konnte sie eine breite Fördertätigkeit entfalten, die die Forschung in der KWG wirkungsvoll unterstützte und in den Unternehmungen der Akademien sogar überwiegend oder vollständig erst ermöglichte. Nicht selten wurde sie zum dauernden Träger wissenschaftlicher Unternehmungen.
  • Nur die offensichtliche und für alle spürbare Notsituation nach dem Krieg bot die einmalige Chance, einen umfassenden Selbstverwaltungskörper der Wissenschaft zu schaffen. Nicht die Selbstverwaltung selbst war neu. Das Verhältnis von Wissenschaft und Staat galt auch vorher als „relativ unproblematisch“. Neu war, daß es gelang, Egoismen, Vorbehalte und Besitzstandswahrung – die schon bei der ersten Besetzung der NG-Organe wieder hervorbrachen – zu neutralisieren und die Interessen zu bündeln. Schließlich war auch nicht wichtig – das zeigten wenigstens die folgenden Jahre –, daß Selbstverwaltung praktiziert wurde, sondern daß die NG damit argumentieren konnte.
  • Die NG etablierte sich als eine schonende Innovation. Sie fügte sich in das bereits vorhandene Ensemble von Institutionentypen ein und ergänzte es, ohne andere zu verdrängen. Dieses Prinzip verfolgte sie auch bei der Erweiterung ihrer Aufgabenfelder. Die Schwerpunktforschung im Rahmen interinstitutioneller Gemeinschaftsarbeiten – der entscheidende Schritt auf dem Wege vom Provisorium der Nothilfe zu einem Pfeiler im deutschen Forschungssystem – kam erst auf die Agenda der NG, nachdem eine klare Arbeitsteilung mit den Akademien und der KWG erreicht worden war.
  • Das Werden und Gedeihen der Notgemeinschaft basierte auf vorhandenen Netzwerken und personellen Querverbünden sowie deren Pflege und gezielten Ausbau. Das sehr dichte Beziehungsgeflecht von Wissenschaftlern, Beamten und Politikern lag bei dem ehemaligen Preußischen Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott nicht nur in den geschicktesten Händen, sondern es wurde von ihm auch als effektives Machtmittel eingesetzt. Aus dem breiten Netzwerk ragte noch ein kleiner Kreis von Personen heraus, die verantwortliche Positionen in mehreren verschiedenen Institutionen gleichzeitig ausübten.

 

Die NG läßt sich damit durchaus als ein spätes Produkt des Systems Althoff verstehen, dessen wichtigstes Ziel der Aufbau einer innovationsfähigen Wissenschaftslandschaft war. Friedrich Althoffs ausgebreitetes Netz seiner Wirksamkeit – von der Wissenschaftsgeschichte als System Althoff bezeichnet – konzentrierte sich zwar auf Preußen, reichte aber auch weit darüber hinaus. Sein Ziel war nicht abschließende Konzentration, sondern ein sowohl territorial wie institutionell ausgewogenes, kompetitives Gefüge. Dafür gab es kein starres Programm, sondern es wurden die sich ergebenden Gelegenheiten genutzt, die erforderlichen Kräfte zu mobilisieren. Nach Althoffs Tod konnte vor allem sein Mitarbeiter Schmidt-Ott das System weiter nutzen, den diskret-vertraulichen Stil pflegen und das Netz ausbauen. Die NG begann – etwas anders als die KWG – als eine unproblematische, additive Anlagerung an die bestehenden Strukturen. Als sie ihr innovatives Potential durch die Einführung einer gezielten Forschungsförderung zu verstärken suchte und die konservative Normalreaktion einsetzte, Neuerungen abzulehnen oder, wenn sie sich nicht vermeiden ließen, ihre innovative Substanz möglichst zu entschärfen, fand das Netz Wege, die Barrieren zu überwinden. Vor allem die nun mögliche Einführung von Gemeinschaftsarbeiten und die Durchsetzung utilitaristischer Schwerpunktforschungen verhalfen der NG zu einer eigenständigen Profilbildung und ermöglichten es ihr, letztlich aus dem langen Schatten der Akademien und der KWG zu treten und sich auf diese Weise als selbständiger wissenschaftspolitischer Akteur zu etablieren. Ihr Verhältnis zur KWG blieb schon durch die personellen Verflechtungen eher recht ungetrübt; jenes zu den Akademien verschlechterte sich Ende der 1920er Jahre deutlich, nachdem die NG sich selbst als Großakademie sah.

Während der NS-Zeit wurden die wissenschafts- und gesellschaftspolitisch austarierten Steuerungs- und Konfliktausgleichsysteme ausgehebelt bzw. im Interesse des NS-Systems instrumentalisiert. Althoffs System mit seiner institutionellen Vielfalt und Offenheit und einer weitgehenden Selbstverwaltung kollidierte grundsätzlich mit den NS-Interessen. Hinzu kam das Ausscheiden seiner wichtigsten Protagonisten: Adolf von Harnack starb 1930, Fritz Haber mußte sich 1933 zurückziehen und starb 1934, Max Planck (1933 bereits im 75. Lebensjahr) suchte nach gangbaren Wegen für die KWG und die Akademie und schied 1936 bzw. 1938 aus den Ämtern, Schmidt-Ott (1933 im 73. Lebensjahr) mußte 1934 den Präsidentensessel der DFG für Johannes Stark räumen. Politischer Systemwechsel und Generationalitäts-Problem überlagerten sich also. Die oben aufgeführten Gründe für den Erfolg der NG (ab 1929 DFG) zählten oder existierten nun nicht mehr.

  • Als eine Bastion der Kulturpolitik des Reiches wurde sie nicht mehr gebraucht. Im Mai 1934 entstand das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM).
  • Das Etikett Selbstverwaltung wirkte nicht mehr gegen die Begierde seitens der Wissenschaftsverwaltung. Die Selbstverwaltung à la Schmidt-Ott hingegen – eher ein Lehrstück stiller Machtübernahme durch eine autoritäre Führung und ihre Bürokratie – war für den Aufgabenkanon des neuen Ministeriums sogar geradezu prädestiniert.
  • Schonende Innovationen galten als nicht mehr zeitgemäß. Das REM strebte ein neues, klar strukturiertes Wissenschaftssystem an, das zwar nur bruchstückhaft verwirklicht, aber nie aus den Augen verloren wurde. Die von der NG/DFG in der Weimarer Zeit (mit)besetzten Felder erhielten dabei von Anfang an eine neue Zuordnung.
  • Das Netz, welches die NG getragen hatte, zerfiel zwischen 1930 und 1934 vollständig. Es fehlten nicht nur die bereits erwähnten Männer an der Spitze, auch die zweite Reihe fiel aus: Walter von Dyck starb 1934, Friedrich von Müller, Heinrich Konen, Viktor Schwoerer und Georg Schreiber verloren ihren bisherigen Einfluß. Das neue Netzwerk wurde von Männern der übernächsten Generation gesponnen, die einige wenige alte Männer unterschiedlichster politischer Couleur nur noch für eine Übergangszeit (Max Planck, Johannes Stark, Theodor Vahlen) oder auf Nebenschauplätzen ( Friedrich Schmidt-Ott im Stifterverband) duldeten.

 

Schon durch diesen Vergleich wird deutlich, warum die DFG in der NS-Zeit schneller und viel stärker ihre eigenständige Position neben der KWG und den Akademien verlor. Sie mutierte schließlich zur Forschungsabteilung des REM und zur Geschäftsstelle des Reichsforschungsrates. Die KWG profitierte enorm von der neuen Situation und den großen finanziellen Möglichkeiten des Reichsforschungsrates. Aber auch die Akademien versuchten 1940/41 die Gunst der Stunde zu nutzen und verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Gemeinsam wollten sie nun als höchste wissenschaftliche Instanz des Reiches jene Großakademie bilden, die die NG Ende der 1920er Jahre in den Augen vieler praktisch schon gewesen war. Heftig umstritten war einzig der Berliner Führungsanspruch. Von den Reichsbehörden nur kurzzeitig unterstützt und schon bald auf die Nachkriegszeit verschoben, wurde dieses Vorhaben nach 1945 in Ostdeutschland unter konzeptioneller Mitarbeit Friedrich Schmidt-Otts erneut in Angriff genommen.
 

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