Zur Förderung von Akademievorhaben durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft:
Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm


Peter Nötzoldt

Das Projekt ist Bestandteil eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Vorhabens zur Aufarbeitung ihrer Geschichte. Das Gesamtprojekt trägt die Überschrift „Die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft von den 1920er bis in die 1970er Jahre“. Es wird von einer unabhängigen Forschergruppe mit Arbeitsstellen in Berlin, Freiburg und Heidelberg bearbeitet. Die wissenschaftliche Betreuung der Berliner Projekte liegt in den Händen von Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität). Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften unterstützt das Vorhaben, indem sie die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung dieses Teilprojektes gewährleistet.

Es soll analysiert werden, wie und warum es der 1920 als Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründeten Deutschen Forschungsgemeinschaft gelang, sich in der deutschen Forschungslandschaft und insbesondere gegenüber den einflußreichen Akademien der Wissenschaften und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu etablieren. Das Mit-, Neben- und Gegeneinander dieser Wissenschaftsorganisationen sowohl in der Weimarer Republik als auch im Dritten Reich zu rekonstruieren und das sich wandelnde Verhältnis zur Politik aufzuzeigen, ist das Anliegen der Untersuchungen. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet die Untersuchung der Förderpolitik der Forschungsgemeinschaft im Kontext von Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Akademien der Wissenschaften. Hier soll das Beispiel des Deutschen Wörterbuches von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm vorgestellt werden.

1900 erhielt die Philosophisch-historische Klasse der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften drei neue Stellen, „vorzugsweise für deutsche Sprachforschung“. Zwei wurden im Jahre 1902 durch die Wahl der Germanisten Konrad Burdach und Gustav Roethe zu Ordentlichen Mitgliedern besetzt. Burdach, Roethe und der bereits 1895 zum Mitglied gewählte Erich Schmidt initiierten ein Jahr später die Gründung der „Deutschen Kommission“ der Akademie, für die sie ein Programm vorlegten. Diese Vorgehensweise und auch das Programm entsprachen ganz der Akademietradition: Die einzelnen Forschungsvorhaben nahmen sich die Großunternehmungen der Akademie in der Klassischen Philologie zum Vorbild. Ihr wichtigstes Ziel war die Erschließung und Präsentation von Quellenmaterial. Sie orientierten „sich weniger an den Brennpunkten aktueller Forschung oder Lehre, als vielmehr am Prinzip der Lücke bzw. des Desiderats und der historischen Distanz.“1 Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm – ein historisches Bedeutungswörterbuch der neuhochdeutschen Sprache – bot sich zwar für den Aufgabenkanon der Deutschen Kommission geradezu an, wurde aber zunächst nicht aufgenommen. Es hatte allerdings auch nie zu den Vorhaben der Akademie gehört.

Die Bearbeitung der ersten Bände des Wörterbuches – der erste Band erschien 1854 – hatten die beiden Brüder bis zu ihrem Tode noch selbst bewerkstelligt: Wilhelm Grimm starb 1859 und Jacob Grimm 1863 über der Bearbeitung des Wortes Furcht, sie waren also bis zum Buchstaben F gekommen. Ende 1867 hatte dann die Germanische Sektion der 25. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner den Kanzler des Norddeutschen Bundes aufgefordert, gemeinsam mit den übrigen deutschen Regierungen für die Fertigstellung des Werkes Sorge zu tragen. Der Vorstoß war erfolgreich gewesen – Mittel kamen ab 1869 von den Bundesstaaten und dann aus dem Kaiserlichen Dispositionsfonds. Das Geld allein hatte aber nicht die erhoffte zügige Fertigstellung bewirkt. Deshalb war die Akademie 1901 vom Preußischen Kultusministerium aufgefordert worden, Vorschläge für eine möglichst schnelle Fertigstellung des Werkes zu unterbreiten. Das hatte sie zwar getan, vor allem die Einrichtung einer Zentralstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern empfohlen, die Übernahme des Wörterbuchs in die Zuständigkeit der Akademie aber abgelehnt.2 Die Akademie verfolgte damals weitreichendere Pläne. Sie forderte die Gründung eines eigenen „Instituts für deutsche Sprache“ mit „bleibender Organisation, mit planmäßig und dauernd angestellten Hilfskräften“. Als deutsches Wörterbuch der Zukunft wurde ein umfassender „Thesaurus linguae Germanicae“ geplant.3 Teillösungen, wie eine Arbeitsstelle für das Grimmsche Wörterbuch, konnten die großen Ziele leicht gefährden.

1907 übernahm es die Akademie – „trotz manchen Bedenken auf Wunsch des Reichsamts des Innern“ – dann doch, „das oft stockende, langsam fortschreitende, ungleich geratene Deutsche Wörterbuch auf bessere Grundlagen zu stellen, einheitlicher zu organisieren und zu beschleunigtem Ende zu führen.“ Unter ihrer Leitung sollte das Werk bis 1922 vollendet werden.4 Vor der Öffentlichkeit verkündete sie, „daß es eine Ehrenpflicht der Akademie sei, das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm zu würdigem Ende zu bringen, ehe sie den neuen Plan des großen deutschen Thesaurus in Angriff nehme“.5 Das Wörterbuch wurde nun gemeinsam mit der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen bearbeitet und dort 1908 die Zentralsammelstelle des Belegmaterials für die noch nicht erschienenen Buchstaben durch den Göttinger Germanisten Edward Schröder eingerichtet. Das Reich stellte vor dem Kriege bis zu 40.000 Mark und dann 20.000 Mark jährlich zur Verfügung.6 Im Jahre 1914 konnten bereits 15 Mitarbeiter beschäftigt werden und trotz des Mitarbeiterrückgangs währende der Kriegszeit wurde bis 1918 ein Viertel der bis zum Abschlußtermin 1922 in Aussicht gestellten Lieferungen realisiert. Die Voraussage lautete: Wenn das Reich, dem wissenschaftliche Aufgaben „wachsend zufallen müssen“, das nationale Werk weiter fördere und „die Steigerung und liebevolle Pflege der inneren geistigen Kultur Deutschlands [...] hoffentlich dauernd zu den ‚unmittelbaren Reichsaufgaben' gerechnet“ werde, ließe sich das Wörterbuch nach Kriegsende in acht bis neun Jahren vollenden.7 Die Einschätzung war in jeder Hinsicht zu optimistisch. Die Übernahme des Grimmschen Deutschen Wörterbuches und seine sich schier endlos bis 1960 hinauszögernde erste Fertigstellung – so der Fachhistoriker Holger Dainat – „blockierte wirkungsvoll jeden Versuch, ein noch größeres Unternehmen auf diesem Feld zu beginnen“. Es gehörte aber zu den Verdiensten der Akademie und, wie im folgenden zu zeigen sein wird, vor allem auch der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und späteren Deutschen Forschungsgemeinschaft, daß das Deutsche Wörterbuch überhaupt beendet wurde.8

Am 10. Mai 1921 beantragte die Akademie beim Reichsminister des Innern die Erhöhung des Reichszuschusses für das Grimmsche Wörterbuch auf den Vorkriegsstand, also wieder von 20.000 auf 40.000 Mark. Gleichzeitig wurden von der Notgemeinschaft, deren Präsident ihr Ehrenmitglied Friedrich Schmidt-Ott von 1920 bis 1934 war, 100.000 Mark erbeten.9 Worauf sich die Akademie einstellen mußte, zeigte sich schnell. Zunächst wollte das Ministerium wissen, ob die Notgemeinschaft zahle. Wenig später kam die Mitteilung, eine Erhöhung des Zuschusses auf den Vorkriegsstand sei nicht möglich, das Ministerium habe aber den Antrag der Akademie bei der Notgemeinschaft dringend befürwortet. Im Dezember 1921 überwies die Notgemeinschaft schließlich 50.000 Mark. Unverzüglich richtete die Akademie an die Notgemeinschaft erneut ein Gesuch. Sie begründete ausführlich, wofür man noch die restlichen 50.000 Mark benötige und betonte, daß das Reichsministerium des Innern die Akademie an die Notgemeinschaft verwiesen habe. Es dauerte ein halbes Jahr, bis die Notgemeinschaft für das Deutsche Wörterbuch weitere 36.363 Mark überwies, die sie für diesen Zweck von der Emergency Society in New York erhalten hatte. Die Akademie bedankte sich wunschgemäß beim Präsidenten der Emergency Society, ihrem seit 1920 Korrespondierenden Mitglied Franz Boas, einem in Minden/Westfalen geborenen und an der Berliner Universität habilitierten Anthropologen, der in den USA Karriere gemacht hatte. „Notgedrungen“ richtete die Akademie in der Folgezeit an die Notgemeinschaft immer wieder die Bitten um Beihilfen für ein Projekt, das sie ehemals auf Wunsch des Reiches und unter Zusicherung der Finanzierung übernommen hatte und für das sie nun sogar ihren eigenen schmalen Geldtopf anzapfen mußte. Im Herbst 1922 erbat sie 600.000 Mark und in der Inflationszeit stiegen die Summen ins Gigantische.

Auch nach der Inflationszeit änderte sich an der für die Akademie mißlichen Situation nichts.10 Beim Reich mußte sie darum betteln, wenigstens der Kriegszeit vergleichbare Zuschüsse wieder zu erhalten – jene Summen der Vorkriegszeit wagte man ausdrücklich nicht mehr zu fordern. Da das Reichsministerium des Innern es ablehnte, für das Deutsche Wörterbuch eine feste Summe in den Etat einzusetzen und die Akademie mit einer einmaligen Beihilfe von 3.000 Goldmark abspeiste, blieb wiederum nur der Gang zur Notgemeinschaft – der künftige „Normalweg“, wie das Reichsministerium nun schon durchblicken ließ. In der Tat überwies die Notgemeinschaft 1924 insgesamt 7.000 Goldmark und weitere 75 Dollar von der Emergency-Society für das Deutsche Wörterbuch. Auch das mehrfach von der Akademie an seine früheren Zusicherungen erinnerte Reichsministerium des Innern stockte die Zahlungen in weiteren Raten auf insgesamt 20.000 Goldmark für das Jahr 1924 auf, wobei unklar ist, ob da der Beitrag der Notgemeinschaft eingerechnet war. 1925 stellte das Reichsministerium des Innern für das Deutsche Wörterbuch 7.500 RM und in den zwei folgenden Jahren je 15.000 RM zur Verfügung. Die Notgemeinschaft überwies lediglich weitere Hilfen der Emergency Society: 100 Dollar (1925) und 608 Dollar (=2.553,60 RM) 1926. Trotzdem war die Notgemeinschaft ganz wesentlich an der Finanzierung des Deutschen Wörterbuches beteiligt, denn spätestens ab 1927 galt folgender Modus Vivendi: Das Reichsministerium habe, schrieb es der Akademie, „eine Beihilfe von 15.000 RM bewilligt, von denen die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft 10.000 RM zur Zahlung übernommen hat“.11 Die Notgemeinschaft erscheint so als der verlängerte Arm eines Reichsministeriums; den meisten Zeitgenossen erschien sie allerdings bereits als das Reichskultusministerium selbst. Und nicht wenige Akademiemitglieder betrachteten die „Großakademie“ – wie Friedrich Schmidt-Ott die Notgemeinschaft auch bezeichnete – als Konkurrent der Akademien.

Vor diesem Hintergrund und zusätzlicher Aufforderung durch den Preußischen Kultusminister begann die Akademie 1929/30 generell über eine Erweiterung ihrer Tätigkeit nachzudenken. Von ihr gewünscht wurde u. a. die Übernahme einiger wichtiger Funktionen der Notgemeinschaft – weil das Provisorium der Notzeit nun entbehrlich sei. Sie plante auch die Gründung von Akademieinstituten, darunter eines Deutschen Instituts mit einer Zentralstelle für das Grimmsche Deutsche Wörterbuch. Insgesamt kam es anders. Aber beim Deutschen Wörterbuch konnte zumindest eine Neuorganisation durchgesetzt werden. Edward Schröder und der Berliner Germanist Arthur Hübner prognostizierten damals noch über 40 Jahre Arbeit bis zur Fertigstellung des Wörterbuches, wenn man ohne Verbesserung der finanziellen, personellen und organisatorischen Bedingungen so weiter mache.12 Sie unterbreiteten der Deutschen Kommission entsprechende Vorschläge zur Beschleunigung der Arbeit. Solche Vorschläge hatte auch das Reichsministerium des Innern von der Akademie erbeten, als Verhandlungspartner aber die Notgemeinschaft zwischengeschaltet. Die Akademie reagierte empört, als ihr im Frühjahr 1929 die Notgemeinschaft nicht nur 22.000 RM „im Auftrag des Herrn Reichsministers des Innern für das Grimmsche Wörterbuch“ zusicherte, sondern zugleich die Vorschläge zur Beschleunigung der Arbeit am Wörterbuch „zur Weitergabe an den Herrn Reichsminister“ einforderte. Man werde „direkt an das Reichsministerium des Innern berichten, wie dies bisher der Brauch gewesen ist“, teilte der Vorsitzende Sekretar Max Rubner der Notgemeinschaft mit.13

Mit der Antwort an das Ministerium ließ sich die Akademie noch etwas Zeit, da sie gerade mit dem Preußischen Kultusministerium die oben angedeuteten Verhandlungen über die generelle Erweiterung ihrer Tätigkeit und die dazu notwendigen finanziellen Voraussetzungen begann. Das Zögern wiederum erregte den Argwohn des Reichsministeriums des Innern, welches nun die Akademie mit einer Festlegung von 1908 konfrontierte, wonach bei jeder Neuordnung der Arbeitsweise am Wörterbuch mit dem Reichsministerium Fühlung genommen werden müsse.14 Nach der Abstimmung mit den preußischen Stellen, tat dies die Akademie dann auch. Sie schlug die Errichtung einer Berliner Arbeitsstelle für das Wörterbuch vor und listete einen jährlichen Finanzbedarf vom 80.000 RM auf.15 Ende 1929 lud schließlich das Reichsministerium des Innern alle Beteiligten zu einer Besprechung betreffend der Aufbringung der Mittel zur beschleunigten Fertigstellung des Deutschen Wörterbuches ein. Man einigte sich, daß künftig das Reichsministerium des Innern, das Preußische Kultusministerium und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (wie die Notgemeinschaft seit 1929 in der Kurzfassung hieß) jeweils 20.000 RM pro Jahr zur Verfügung stellen.16 Das Wörterbuch sollte fortan unter folgendem monströsen Titel erscheinen: „Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Im Auftrage des Deutschen Reiches und Preußens mit Unterstützung des Reichsministeriums des Innern, des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften“.17

Wichtiger als das Aufführen aller „Sponsoren“ für den Fortgang der Arbeiten war allerdings, daß die versprochenen Mittel nun wirklich flossen. Die Berliner Arbeitsstelle konnte errichtet und so die bisherige zersplitterte Arbeit gebündelt werden. Auch die Zahl der Mitarbeiter stieg beträchtlich: 1933 beschäftigte die Berliner Arbeitsstelle bereits 13 hauptamtliche Mitarbeiter. 1934 kam schließlich auch die Göttinger Zentralsammelstelle nach Berlin. Ernsthafte Sorgen um den Fortbestand mußten sich die Verantwortlichen für des Wörterbuch auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht machen, da doch die Idee zur Schaffung eines großen deutschen Wörterbuches seit der Akademiegründung eng „verflochten mit dem Erstarken des nationalen Gedankens“ gewesen sei. Was für den Akademiegründer Gottfried Wilhelm Leibniz nur ein „patriotischer Traum“ war, wäre nun eine „national-politische Notwendigkeit“ argumentierte Arthur Hübner 1933.18 Es gelang der Akademie aber weder im Vorfeld noch in der NS-Zeit, das Vorhaben Deutsches Wörterbuch aus der finanziellen Abhängigkeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu befreien. Diese Abhängigkeit wurde sogar eine totale.

Für das Grimmsche Deutsche Wörterbuch bereitgestellte Mittel in Reichsmark

 

RMI

PKM

DFG

PAW

1930

-

20.000

20.000+20.000 RMI

-

1931

20.000*

20.000

20.000*

-

1932

0

20.000

5.000

-

1933

-

20.000

20.000+20.000 RMI

-

1934

-

20.000

20.000+20.000 RMI

-

 

REM

   

1935

30.000

30.000

-

1936

30.000

30.000

-

1937

?

?

-

1938

5.000

51.500

3.500

1939

-

51.225

10.000

1940

-

50.000

-

1941

-

53.700

-

1942

-

64.700

-

1943

-

79.500

-

1944

-

68.400

-

April 45

-

30.520

-

* Es existiert bisher kein eindeutiger Beleg dafür, daß das RMI auf Mittel der DFG zurückgriff.

Solange im Reichsministerium des Innern (RMI) eine für Wissenschaftsfragen zuständige Abteilung bestand – das war bis 1934 – hielt diese an der erprobten Methode fest, die Mittel für das Deutsche Wörterbuch zwar im Haushaltskapitel „Förderung sonstiger wissenschaftlicher Zwecke“ neben ca. 60 bis 70 weiteren Projekten zu planen, dann aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zur teilweisen und schließlich vollständigen Übernahme zu verpflichten. 1932 war dieser Weg wegen der allgemeinen Finanznot nicht gangbar – allerdings auch nicht notwendig, weil das Wörterbuch über ausreichende Reserven verfügte.19 Nach der Bildung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) im Jahre 1934 änderten sich die Zuständigkeiten. Da der Neugründung die bisherigen Wissenschaftsangelegenheiten des Reichsministeriums des Innern übertragen und das Preußische Kultusministerium (PKM) eingliedert wurden, kamen nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Preußische Akademie der Wissenschaften (PAW) in seine Zuständigkeit, sondern auch die vorher eingegangenen Verpflichtungen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unter dem neuen Präsidenten Johannes Stark (1934–1936) wandte sich nur einmal gegen die nun vom REM vorgegebene Neuaufteilung der Fördermittel.20 Das geschah 1936, als der erbitterte Kampf zwischen dem REM und Stark um die Herrschaft über Deutsche Forschungsgemeinschaft in seine Endphase trat und das REM die Finanzmittel der Gemeinschaft auf 46 Prozent des Vorjahres kürzte. Das REM setzte sich nicht nur in diesem Streitfall durch, sondern generell. Im Herbst 1936 übernahm der für Forschungsfragen im REM zuständige Rudolf Mentzel die Präsidentschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er blieb bis zum Ende der NS-Zeit Präsident der Forschungsgemeinschaft und baute bis dahin seine Macht kontinuierlich aus; u. a. wurde er 1939 der Chef des gesamten Amtes Wissenschaft im REM und war damit auch für Akademiefragen zuständig. Die Finanzmittel für das Grimmsche Deutsche Wörterbuch – eine „nationale Angelegenheit, die jeden Deutschen angeht“, wie die Akademie in zeitgemäßer Rhetorik unermüdlich hervorhob 21 – wurden schon bald vollständig aus dem Etat der Deutschen Forschungsgemeinschaft entnommen.22 Krisensituationen, wie eine drastische Mittelkürzung und die Kündigung aller Mitarbeiter zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, konnten durch Kompromisse überwunden werden: Die Forschungsgemeinschaft stellte weiterhin die Mittel für den Leiter und sieben wissenschaftliche Mitarbeiter zu Verfügung und die Akademie kompensierte das Fehlende durch eigene Finanzreserven.23

Die Analyse der Forschungsförderung der Notgemeinschaft und späteren Deutschen Forschungsgemeinschaft beim Deutschen Wörterbuch zeigt zwei Dinge. Zum einen, daß die Gemeinschaft in diesem konkreten Fall als verlängerter Arm eines Reichsministeriums in der Weimarer Zeit agierte und sie schließlich in der NS-Zeit zur Zahlstelle eines zentralen Kultusministeriums degenerierte. Zum anderen verdeutlicht sie die große Abhängigkeit eines Akademievorhabens von diesem „Transmissionsriemen“ zu den staatlichen Geldgebern auf der Ebene des Reiches – Erfolg und Mißerfolg der Akademieforschung hingen ganz entscheidend vom Wohl und Wehe der Forschungsgemeinschaft ab. Beim Deutschen Wörterbuch fällt die Bilanz insgesamt positiv aus.

Nach der Übernahme der Verantwortung für das Deutsche Wörterbuch durch die Akademie im Jahre 1908 erschienen bis 1943 insgesamt 142 Lieferungen. (Man war damit bei der Lieferung 324 angelangt und glaubte den Abschluß mit der Nummer 365 erreichen zu können.)24 Bei über 100 der Lieferungen brachte die Notgemeinschaft bzw. die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen beträchtlichen und schließlich den ganzen Teil der für die Forschung notwendigen Mittel auf. Sie durchbrach ihren Grundsatz, nur zeitlich begrenzte Hilfe zu leisten und wurde zum dauernden Träger wissenschaftlicher Unternehmungen. Ein Einzelfall war das Deutsche Wörterbuch allerdings nicht. Auch bei anderen Wörterbüchern und wissenschaftlichen Editionen verfuhr die Forschungsgemeinschaft ähnlich, wenn es sich um Unternehmungen von großer wissenschaftlicher Bedeutung handelte und kein oder kein ausreichend potenter Förderer vorhanden war. Beim Deutschen Wörterbuch ließ sich die Dauerförderung zudem immer mit Nationalismus und Nationalbildung begründen. Daß diese Förderung aber bis 1945 unvermindert aufrecht erhalten wurde und die Germanistik an der Akademie davon profitieren konnte, ist trotzdem erstaunlich und verdeutlicht eine hohe wissenschaftliche Verantwortung der Handelnden auch unter den politischen Verhältnissen des NS-Staates. Der Nachweis gesellschaftspolitischer Relevanz ist ja bei Wörterbüchern nicht gerade einfach. Auch wenn sich die Germanistik von der „deutschen zur deutschesten Wissenschaft“ steigern ließ, blieb die Tatsache: „Materialerschließung und empirische Detailarbeit verweisen politische (Wunsch-) Vorstellungen in enge Grenzen, ohne sich von ihnen völlig befreien zu können.“25 In einem sehr umfangreichen Gutachten des Sicherheitsdienstes der SS von Ende der 1930er Jahre zur Perspektive der Germanistik erschien im Kontext der Akademien lediglich die Bemerkung: „Die Auswirkung der wissenschaftlich germanistischen Arbeiten der einzelnen Akademien beschränkt sich im wesentlichen auf die wissenschaftlichen Fachkreise.“26 Das traf auch für das Deutsche Wörterbuch zu, dessen Bearbeitung die Forschungsgemeinschaft bis zum Kriegsende ermöglichte. Das 1938 genannte Ziel, das Werk in sechs bis acht Jahren beenden zu können, ließ sich freilich nicht verwirklichen.27 Im Herbst 1944 waren schließlich von den 21 ehemals hauptamtlichen Mitarbeitern am Deutschen Wörterbuch vor dem Kriege nur noch vier tätig.28 Ende des Jahres erfolgte die Verlagerung der Arbeitsstelle nach Schloß Fredersdorf bei Belzig. Nahezu das gesamte Belegmaterial (etwa 4.000.000 Zettel) und die Bibliothek konnten erhalten werden.

Damit waren die wesentlichen Voraussetzungen für den Fortgang des Werkes nach Kriegsende gegeben. Auch die Finanzierung gestaltete sich relativ unkompliziert. Da im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands sofort eine zentrale staatliche Forschungsförderung eingeführt wurde, meldete die Akademie ihren Finanzbedarf nun wieder direkt beim zuständigen Ministerium an. Nach ihrer Wiedereröffnung als Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Sommer 1946 stand genug Geld zur Verfügung, um nicht nur die Berliner Arbeitsstelle weiterbetreiben zu können, sondern auch für die Errichtung einer Arbeitstelle der Berliner Akademie in Göttingen.29 Im Jahre 1952 eröffnete die Akademie schließlich ihr schon seit der Jahrhundertwende geplantes „Institut für deutsche Sprache und Literatur“. Das Deutsche Wörterbuch stand als Abteilung I an der Spitze. Es bedurfte weiterer acht Jahre Forschung der beiden Arbeitsstellen dieser Abteilung – in Berlin unter der Leitung von Bernhard Beckmann und in Göttingen unter der Leitung von Hans Neumann –, bis die Fertigstellung des Deutschen Wörterbuches der Brüder Grimm verkündet und gleichzeitig der Startschuß für den Beginn der Neubearbeitung gegeben werden konnte.30 Für das Jahrhundertwerk im wahrsten Sinne des Wortes mit seinen 32 Bänden waren 380 Lieferungen erforderlich gewesen.

Und auch an den 56 Lieferungen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Deutsche Forschungsgemeinschaft nicht unwesentlich beteiligt. Was in der DDR aus dem Haushalt der Akademie finanziert wurde, übernahm in der Bundesrepublik die wiedergegründete Deutsche Forschungsgemeinschaft. Im Jahrbuch der Berliner Akademie von 1952–1953 findet sich der knappe und nie wiederholte Hinweis: „Die Zweigstelle Göttingen untersteht der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und ist von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unabhängig. Redaktion und Publikation der Göttinger Lieferungen liegen jedoch bei der Berliner Zentralstelle.“31 In den Erinnerungen des damaligen Generalsekretärs der Deutschen Forschungsgemeinschaft liest sich der Sachverhalt so: „Heute wird die Arbeit von beiden Teilen Deutschlands getragen, in der DDR von der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin, in der Bundesrepublik von einer durch die Forschungsgemeinschaft (zur Zeit mit rund 250.000 DM jährlich) finanzierten Arbeitsstelle in Göttingen.“32 Im restaurierten, an die Weimarer Zeit anknüpfenden multifunktionalen System der Forschungsförderung der Bundesrepublik waren beim Deutschen Wörterbuch offensichtlich die alten Abhängigkeiten wieder hergestellt – erfolgreich, wenn man die Lieferungen aus Göttingen sieht, ob auch konfliktfrei, bedarf weiterer Prüfung.

 

1. Holger Dainat, Die paradigmatische Rolle der Germanistik im Bereich der Philologien. Die Deutsche Kommission im interdisziplinären Kontext, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914-1945, Berlin 2000, S. 177.

2. Vgl. AAW Berlin, II, VI a 1, Bd. 9, Bl. 216-236, Bd. 10, Bl. 48-58.

3. Vgl. Generalbericht über Gründung, bisherige Tätigkeit und weitere Pläne der Deutschen Kommission. Aus den Akten zusammengestellt, in SB der PAW 1905, S. 694-707.

4. Vgl. Schreiben der PAW an den Staatssekretär des Innern vom 22.03.1918, Abschrift an den Preußischen Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten Friedrich Schmidt[-Ott], GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 58-60.

5. SB der PAW, S. 146.

6. AAW Berlin, II - VIII, Bd. 21, Bl. 110, 122.

7. Vgl. Schreiben der PAW an den Staatssekretär des Innern vom 22.03.1918, Abschrift an den Preußischen Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten Friedrich Schmidt[-Ott], GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 58-60. (Siehe FN 4)

8. Dainat, Rolle der Germanistik, S. 180.

9. Vgl. dazu und zum Folgendem: AAW Berlin, II – VIII, Bd. 20, Bl. 156, 161f., 183, 223-226, 246.

10. Vgl. dazu und zum Folgendem, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 21, Bl. 110f., 122-124, 135, 189, 194, 198, 226

11. Brief des Reichsministers des Innern an die PAW vom 04.07.1927, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 22, Bl. 90; Quittung über erhaltene 10.000 RM an die Notgemeinschaft vom 14.02.1928 = Bl. 95.

12. Vgl. den Bericht von Edward Schröder (zusammen mit Arthur Hübner) vom 23.01.1930, in SB der PAW, 1930, S. LXVff.

13. Vgl. Schreiben der Notgemeinschaft an die PAW vom 13.04.1929 und Antwort vom 19.04.1929, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 23, Bl. 34-36.

14. Vgl. Schreiben des Reichsministeriums des Innern (Pellengahr) an die Deutsche Kommission der PAW vom 11.06.1929, GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 91.

15. Schreiben der PAW an das Reichsministerium des Innern vom 24.06.1929, GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 93 oder AAW Berlin, II – VIII, Bd. 23, Bl. 38.

16. AAW Berlin, II – VIII, Bd. 23, Bl. 101f. ??? für   f da nicht erkennbar! .

17. Vgl. Vertrag mit der Verlagsbuchhandlung von S. Hirzel in Leipzig, GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 169.

18. Arthur Hübner, Bericht über das Deutsche Wörterbuch, in: SB der PAW, 1933, S. XXVIIff.

19. Vgl. die Planungen des Ministeriums für 1929 und 1930, BAB, R 1501, Nr. 126759, Bl. 37, 70 sowie die Anschreiben der DFG an die Akademie bei der Überweisung von Anteilen des RMI, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 23, Bl. 34, Bd. 32, Bl. 38-41, 125, 159; für den Sonderfall 1932, GPStA Berlin, Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Vd, Nr. 3, Bd. IV, Bl. 222.

20. Vgl. zu den Bewilligungen der Beihilfen, AAW II – VIII, Bd. 32, Bl. 147, 159, 176, 178ff., 191; Bd. 33, Bl. 24, 71 und zum Aufbegehren der DFG, ebd. Bl. 22f.

21. Vgl. Julius Schwietering (OM 1939, Nachfolger des 1937 verstorbenen Arthur Hübner in der Deutschen Kommission), Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm, in: Jahrbuch der PAW 1940, S.. 116.

22. Vgl. Bewilligungsschreiben, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 33, Bl. 131a, 154a-c, 157, 161; Bd. 34 und 35 unpaginiert.

23. Vgl. Schreiben der PAW an die DFG vom 06.12.1939 und Antwortschreiben vom 13.12.1939; AAW Berlin, II – VIII, Bd. 33, Bl. 207ff.

24. Vgl. JB der DAW 1946-1949, S. 97 und Theodor Frings, Aufgaben und Ziele des Instituts für deutsche Sprache und Literatur, in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946-1956, Berlin 1956, S. 324.

25. Dainat, Rolle der Germanistik, S. 188..

26. Vgl. Lage und Aufgaben der Germanistik und deutschen Literaturwissenschaft, in: Gerd Simon (Hrsg.), Germanistik in den Planspielen des Sicherheitsdienstes der SS. Ein Dokument aus der Frühgeschichte der SD-Forschung, Teil 1: Einleitung und Text, Tübingen 1998, S. 1-69, Zitat S. 26..

27. Bericht des Vorsitzenden Sekretars Ernst Heymann der PAW an die DFG vom 01.06.1938; AAW Berlin, II – VIII, Bd. 33, Bl. 129.

28. Vgl. Brief des Präsidenten der PAW an die DFG vom 29.11.1944, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 35.

29. Vgl. Bericht des Präsidenten der DAW auf der Gesamtsitzung der Akademie am 21.11.1946, AAW Berlin, II – VIII, Bd. 35.

30. Vgl. Theodor Frings, Aufgaben und Ziele des Instituts für deutsche Sprache und Literatur sowie Bernhard Beckmann, Das Deutsche Wörterbuch am Vorabend der Vollendung, beide in: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1946-1956, Berlin 1956, S. 321-338. Zur den Mitarbeitern der beiden Arbeitsstellen und deren Anteil an den Lieferungen vgl. die Jahrbücher der DAW bis 1961.

31. JB der DAW 1952–1953; Berlin 1955, S. 157.

32. Kurt Zierold, Forschungsförderung in drei Epochen, Wiesbaden 1968, S. 486.

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