Seinen Zeitgenossen und zwei Generationen seiner Schüler galt Wilhelm Dilthey als der Kant des 19. Jahrhunderts. Sein Versuch, eine „Kritik der historischen Vernunft“ zu schreiben, erschien als die unumgängliche Reaktion auf die Einwände gegen Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Nach der Romantik, nach Hegel und in Anerkennung der philologisch fundierten Aufarbeitung des antiken Denkens erschien dies unabweisbar. Auch Nietzsches psychologische Abrechnung mit dem Kantianismus sprach für Diltheys Programm.
Zu Lebzeiten Diltheys schienen sich die Erwartungen auf eine historisch fundierte, physiologisch gesicherte und systematisch ausgerichtete Philosophie des Lebens zu erfüllen. Er stellte die Verbindung zur Genese des neuzeitlichen Denkens, zur Literaturgeschichte und zur Theologie Schleiermachers her und gab der Philosophie ein Fundament sowohl im „Verstehen“ historischer Tatsachen wie auch im einfühlenden Nachvollzug psychischer und sozialer Bedingungen. Auch dem Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Organismus schenkte er Beachtung.
Bis heute ist Diltheys Name eng mit der Konzeption der Geisteswissenschaften verbunden, denen er eine methodische Grundlage und ein gestärktes Selbstbewusstsein im Umgang mit den Naturwissenschaften gab. Die Sozialwissenschaften, auf die er prägend wirkte, suchte er von den methodologischen Beschränkungen ihrer nationalökonomischen Anfänge zu befreien. So wirkte er auf Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Georg Herbert Mead. Neben alledem hat er der Philosophie des Lebens Anregungen gegeben, ohne die ein Werk wie Heideggers „Sein und Zeit“ nicht möglich gewesen wäre.
Dilthey, 1833 geboren, hat in Basel, Kiel und Breslau gelehrt, ehe er 1883 an die Berliner Universität berufen wurde. Nach Fichte und Hegel, nach Trendelenburg und Zeller war er eine der prägenden Gestalten der Berliner Philosophie. Er wurde eines der führenden Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften und hat die Gesamtausgaben der Werke von Leibniz und Kant initiiert. Die Edition der Werke Kants hat er bis zu seinem Tod am 1. Oktober 1911 geleitet. Die Humboldt-Universität und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften haben allen Grund, aus Anlass seines hundertsten Todestages an Wilhelm Dilthey zu erinnern.
PROGRAMM
09.30 Uhr
Begrüßung
Günter Stock
Akademiepräsident
Thomas Schmidt
Geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie, HU Berlin
10.00 Uhr
Wo ist Dilthey?
Axel Horstmann
Hannover
11.15 Uhr
Dilthey as a Philosopher of Life
Rudolf Makkreel
Atlanta
12.30 Uhr
Pause
13.30 Uhr
Geist und Geschichtlichkeit
Diltheys Auseinandersetzung mit Hegel
Christophe Bouton
Bordeaux
14.45 Uhr
Dilthey zwischen Universalismus und Relativismus
Giuseppe Cacciatore
Neapel
16.00 Uhr
Kontinuität in und um Dilthey
Ein Grußwort aus der Werkstatt
Fritjof Rodi
Bochum
Moderation: Volker Gerhardt
HU Berlin, Akademiemitglied