Der Begriff „islamisches Mittelalter“ ist nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch verwurzelt, sondern wird auch von Historikern und Islamwissenschaftlern – zumeist unreflektiert – verwendet. Aber lässt sich der Mittelalterbegriff überhaupt universell anwenden, und passt er auf die Gesellschaften des Nahen Ostens, deren materielle und kulturelle Entwicklung seit der Spätantike ganz anders verlief als im Westen? Wann also begann das Mittelalter im Islam, und, noch brisanter, wann hörte es auf? Im Islam habe es, hört man oft, weder Renaissance noch Reformation und Aufklärung gegeben. Man sei noch immer dem mittelalterlichen Denken verhaftet. Sogar in politischen Debatten, etwa über einen EU-Beitritt der Türkei, wird dieses Argument verwendet. Fundamentalistischen Strömungen im Islam wird unbesehen der Wunsch, „zurück ins Mittelalter“ zu wollen, unterstellt. Grund genug, den Begriff „islamisches Mittelalter“ näher ins Auge zu fassen.
Einführung
Michael Borgolte
Humboldt-Universität zu Berlin
Akademiemitglied
Gab es ein islamisches Mittelalter?
Thomas Bauer
Westfälische Wilhelms-Universität in Münster
Das Mittelalterzentrum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften lädt zu seinem dritten Jahresvortrag ein. Es veröffentlicht die Vorträge in einer eigenen Reihe „Das mittelalterliche Jahrtausend“ im Verlag De Gruyter (Band 2: Jan-Dirk Müller, König Philipp und seine Krone. Über Fremdheit und Nähe mittelalterlichen Dichtens und Denkens, Berlin 2014). Das Zentrum wurde 2011 gegründet und repräsentiert die mit dem Mittelalter befassten Akademienvorhaben und Projekte der Akademie sowie assoziierte Unternehmen.