Menschen streiten sich beständig darüber, welche Handlungen moralisch richtig und welche falsch sind, welche gut und welche böse, welche geboten und welche verboten sind. Wie sind beispielsweise Abtreibungen oder die gleichgeschlechtliche Ehe zu bewerten? Oder: Sind wir moralisch dazu verpflichtet, einen Großteil unseres Einkommens zur Bekämpfung der Weltarmut zu spenden?
Es stellt sich die Frage, ob solche Probleme unter Verweis auf objektive moralische Wahrheit entschieden werden können. Wie ließe sich eine solche erkennen? Welche Rolle spielen die Naturwissenschaften bei der Bestimmung von moralischer Wahrheit? Was bedeutet die Vielfalt und die kontinuierliche Veränderung von Moralvorstellungen? Wie viel Toleranz ist gegenüber abweichenden moralischen Urteilen angebracht und wann ist Kritik gerechtfertigt?
Friedrich Nietzsche hat die Behauptung in Umlauf gebracht, es gebe keine Wahrheit. Die Aussage kann durchaus selbst als wahr bezeichnet werden, weil es in der Tat keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass den Aussagen der Menschen in der unabhängig von ihm bestehenden Welt irgendetwas entspricht. Doch es wäre falsch, daraus den Schluss zu ziehen, auch im Verkehr der Menschen untereinander komme es nicht auf Wahrheit an. Das Gegenteil ist der Fall: Solange Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit noch als ethische Werte gelten, je größer der Anteil von Technik und Wissenschaft am Leben des Menschen wird und je mehr Menschen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen genötigt sind, sich auf berechenbare Weise zu verständigen, umso größer wird die Notwendigkeit, dies auf exakte Weise zu tun. Volker Gerhardt wird mit Blick auf die moralische Verantwortung des Menschen und in Anbetracht der globale Vernetzung des menschlichen Daseins die These vertreten, die im Titel steht: Der Wert der Wahrheit wächst.
Der Wert der Wahrheit wächst
Volker Gerhardt
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Philosophie
Akademiemitglied
Die Akademievorlesung im Sommersemester 2013 befasst sich mit diesen und verwandten Fragestellungen. Dabei werden nicht nur aktuelle Probleme diskutiert, sondern es werden auch neuere Forschungsdiskussionen eingeführt und Bezüge zu klassischen Positionen aus der Geschichte der Ethik hergestellt. Ziel ist es, die Besonderheit von moralischem Wissen und moralischer Wahrheit genauer in den Blick zu nehmen. Nur ein differenziertes Verständnis dessen, was moralische Wahrheit ist, erlaubt einen angemessenen Umgang mit moralischen Konflikten. Die diskutierten Fragen sind daher nicht nur von theoretischem Interesse, sondern beeinflussen auch praktische Lebensbereiche.
Weiterer Termin:
- Donnerstag, 20. Juni 2013: Warum gelten moralische Normen? – Ein Streitgespräch mit Carl Friedrich Gethmann (Forschungskolleg „Zukunft menschlich gestalten“, Universität Siegen, Akademiemitglied) und Gerhard Ernst (Institut für Philosophie, Universität Erlangen-Nürnberg)