Sofern auf solchen Täfelchen Texte überliefert sind, bieten sie einen seltenen Einblick in das tägliche Leben im römischen Reich. Das gilt insbesondere für die nordwestlichen Provinzen, wo Papyrusfunde, die sonst v. a. in Ägypten entsprechende Informationen überliefern, so gut wie unbekannt sind. Es überrascht daher nicht, dass traditionell die Entzifferung der oft schwachen erkennbaren und einander überlagernden Schriftspuren auf den Schreibtafeln im Fokus der Forschung steht. Der Schriftträger selbst wurde hingegen bisher vernachlässigt, und dies obwohl die Mehrheit der bekannten Täfelchen gar keine Schriftreste aufweist. Ein objektfokussierter Blick auf die Wachstafel, wie er im Rahmen des Vortrags im Mittelpunkt steht, gibt jedoch wertvolle Aufschlüsse über die unmittelbaren Umstände, unter denen die Texte überhaupt entstanden sind. Indem man die Morphologie und praktischen Aspekte der Benutzung von Wachstafeln hinterfragt und damit die Verwendung dieses Mediums im römischen Alltag in den Mittelpunkt rückt, ist ein neuer Zugang zur Frage, warum, wann und wie Schreibtafeln vor 2000 Jahren benutzt wurden, möglich.
Ein Vortrag von Anna Willi (British Museum London).
Eine Kooperationsveranstaltung des Akademienvorhabens „Corpus Inscriptionum Latinarum“ und des Projekts „Corpus Nummorum“ mit dem Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin.