Hermann Kulke wird in seinem Vortrag kein umfassendes eurasisches Mittelalter postulieren. Stattdessen soll auf eine Reihe historischer Ereignisse verwiesen werden, die mit deutlich übereinstimmenden Folgen weite Teile des eurasischen Kontinents, also Europa und Asien, gleichzeitig betrafen. Hierzu zählten die arabisch-muslimische Expansion und die Bildung des mongolischen Weltreichs. Gibraltar im äußersten Südwesten Europas und Nordwest-Indien fielen bezeichnenderweise im selben Jahr 711 arabisch-muslimischen Angriffen
zum Opfer. Ebenso steht das mongolische Weltreich für die „Entgrenzung“ des abendländischen wie des ostasiatischen Weltbildes. Sie schuf Voraussetzungen für die Entstehung der frühen Neuzeit, die, wie aufzuzeigen sein wird, in China allerdings bereits Jahrhunderte zuvor begonnen hatte.
Hermann Kulke hatte von 1988 bis 2003 den Lehrstuhl für Asiatische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Kiel inne. Sein Schwerpunkt in der Geschichte Indiens und Südostasiens manifestierte sich in mehreren Forschungsprojekten in der Region Orissa und brachte ihm wiederholt Einladungen auf Gastprofessuren ein (Bhubaneswar, Kalkutta, Delhi, Singapur). Seine zahlreichen Monographien und Aufsätze, darunter der Essay „Gab es ein indisches Mittelalter?“ und eine „Indische Geschichte bis 1750“, machten ihn auch einem breiteren Publikum bekannt.
Das Mittelalterzentrum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften lädt zu seinem vierten Jahresvortrag ein. Es veröffentlicht die Vorträge in einer eigenen Reihe „Das mittelalterliche Jahrtausend“ im Verlag De Gruyter (Band 1: Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart des Mittelalters, 2013; Band 2: Jan-Dirk Müller, König Philipp und seine Krone, 2014; Band 3 im Druck).