In aktuellen Debatten wird zunehmend über die Virtualisierung der Bilder geredet, auch in der Annahme, Bilder verbürgen heute keinen kulturell abgesicherten Realitätsbezug mehr. Dies verwundert kaum in einer Zeit, in der allerorten künstliche Bildwelten entstehen und Bilder mit Hilfe von neuen digitalen Technologien so einfach zu arrangieren und zu manipulieren sind. Hinzu kommt eine im Rahmen einer gegenwärtigen Globalkultur schillernde Vielfältigkeit – die „Bilderflut“ – und die „wilde“ Zirkulation von Bildern aus verschiedensten kulturellen Verweisungszusammenhängen.
Dem Forschungsprogramm der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“ entsprechend diskutiert die Vorlesungsreihe „Fluchtlinien der Bildkultur“ jene Aspekte, die der eher intuitiven Rede von der „Beliebigkeit“ und der „Entsicherung“ von Bildern entgegenlaufen und diese im Lichte kulturhistorischer und bildwissenschaftlicher Paradigmen relativieren. Die Vorträge stellen in unterschiedlichen Feldern die unauflösbare Rolle von Bildern für menschliche Orientierung und Sinnstiftung dar. Aufgezeigt werden aktuelle Einsichten der historischen oder theoretischen Forschung, die die tiefe Einbettung von Bildverweisen in kulturelle Räume und Praktiken anzeigt und dokumentiert. Einen Fokus bilden dabei alle Implikationen von „Perspektive“: von Fragen nach der Darstellung von Raum und seiner perspektivischen Konstruktion im Bild bis hin zu jenem zunehmenden transkulturellen Austausch von Bildern als Grundlage für die Selbstverortungen kultureller Akteure.
Die scheinbare Verselbständigung und Autonomie der Bilder und Bildwelten wird somit rückgebunden an „Bildkulturen“ und deren gesellschaftlichen und kulturellen Referenzräume, die weit in die Geschichte und die Grundverfassung des Menschen als Bilderproduzenten zurückreichen.
PROGRAMM
Malanggan: Abbild und doppelter Tod
Karl-Heinz Kohl
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Akademiemitglied
Malanggan-Skulpturen von der melanesischen Insel New Ireland zählen zu den Glanzstücken ethnologischer Museen. In ihrer ästhetischen Ausgestaltung stehen sie den großen Werken der europäischen Kunst kaum nach. Doch waren die Intentionen, die melanesischen Künstler mit ihnen verbanden, ganz anderer Art. Während klassische europäische Kunst bestrebt ist, Vergänglichkeit zu überwinden, war das Vergessenmachen der Toten das Ziel der Rituale, für die die Malanggan-Figuren hergestellt worden waren. Sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, versteckte man sie im Wald, um sie dort verrotten zu lassen, oder versuchte, sich ihrer auf andere Weise zu entledigen. Paradoxerweise verdankt sich dieser Form des Umgangs mit dem Tod die Tatsache, dass in europäischen Sammlungen so viele Malanggan-Skulpturen erhalten geblieben sind.
Linearperspektive! – „Die aperspektivische Methode ist ‚wahrer‘ “
Japanisch-europäische Blickwechsel
Melanie Trede
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“
Flächig, dekorativ und mit viel Leere – so wird häufig in Europa japanische Malerei beschrieben. Diese Einschätzung hat viel mit der Prominenz japanischer Farbholzschnitte für die europäische Avantgarde des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu tun, wurden diese doch geschätzt wegen ihres experimentellen Umgangs mit Komposition, reduzierter Volumenwiedergabe und flächigem Pigmentauftrag. „Mit wahrer Pinsel-Methode hat das ganz und gar nichts zu tun: Solche Bilder mögen zwar gekonnt sein, bleiben aber im Handwerklichen stecken“, so lautet einerseits ein ostasiatisches Urteil des 18. Jahrhunderts über europäische Malerei. In spezifischen Intellektuellen- und Künstlerkreisen wurde gleichzeitig die „westliche Malerei“ allerdings auch gelobt als die Realität wirklicher abbildend und entsprechend adaptiert. Ausgehend von Malereien und Druckgrafiken insbesondere aus dem vormodernen Japan nimmt der Vortrag deren reichhaltige alternative Raumdarstellungen unter die Lupe. Malereitraktate und zeitgenössische Kommentare erhellen zusätzlich die transkulturelle Auseinandersetzung mit Perspektiven.
Einführung und Moderation: Margit Kern
Freie Universität Berlin, Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“