In aktuellen Debatten wird zunehmend über die Virtualisierung der Bilder geredet, auch in der Annahme, Bilder verbürgen heute keinen kulturell abgesicherten Realitätsbezug mehr. Dies verwundert kaum in einer Zeit, in der allerorten künstliche Bildwelten entstehen und Bilder mit Hilfe von neuen digitalen Technologien so einfach zu arrangieren und zu manipulieren sind. Hinzu kommt eine im Rahmen einer gegenwärtigen Globalkultur schillernde Vielfältigkeit – die „Bilderflut“ – und die „wilde“ Zirkulation von Bildern aus verschiedensten kulturellen Verweisungszusammenhängen.
Dem Forschungsprogramm der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“ entsprechend diskutiert die Vorlesungsreihe „Fluchtlinien der Bildkultur“ jene Aspekte, die der eher intuitiven Rede von der „Beliebigkeit“ und der „Entsicherung“ von Bildern entgegenlaufen und diese im Lichte kulturhistorischer und bildwissenschaftlicher Paradigmen relativieren. Die Vorträge stellen in unterschiedlichen Feldern die unauflösbare Rolle von Bildern für menschliche Orientierung und Sinnstiftung dar. Aufgezeigt werden aktuelle Einsichten der historischen oder theoretischen Forschung, die die tiefe Einbettung von Bildverweisen in kulturelle Räume und Praktiken anzeigt und dokumentiert. Einen Fokus bilden dabei alle Implikationen von „Perspektive“: von Fragen nach der Darstellung von Raum und seiner perspektivischen Konstruktion im Bild bis hin zu jenem zunehmenden transkulturellen Austausch von Bildern als Grundlage für die Selbstverortungen kultureller Akteure.
Die scheinbare Verselbständigung und Autonomie der Bilder und Bildwelten wird somit rückgebunden an „Bildkulturen“ und deren gesellschaftlichen und kulturellen Referenzräume, die weit in die Geschichte und die Grundverfassung des Menschen als Bilderproduzenten zurückreichen.
PROGRAMM
Der Grund der Pluri-Perspektive.
Nikolaus von Cues über den Bildraum
Christoph Markschies
Humboldt-Universität zu Berlin, Akademiemitglied
Horst Bredekamp
Humboldt-Universität zu Berlin, Akademiemitglied
Einführung und Moderation: Jochen Brüning
Humboldt-Universität zu Berlin, Akademiemitglied
Gewöhnlich herrscht die Vorstellung, für die neuzeitliche westliche Kunst sei die Zentralperspektive als Entdeckung einer vermeintlichen „richtigen“ Wiedergabe der Wirklichkeit charakteristisch. Ein Blick auf den gelehrten mittelalterlichen Bischof, Theologen und Philosophen Nikolaus von Cues (1401–1464) zeigt, dass es sich auch bei dieser Vorstellung um eine der vielen klassischen, aber problematischen Vereinfachungen über den Gang der Wissenschaftsgeschichte handelt. Da Nikolaus in seinen Schriften, insbesondere in „De visione Dei“, auch konkrete Bilder bespricht, wird sein auf eine Pluri-Perspektive hin orientiertes Denken sowohl aus bildwissenschaftlicher wie theologiegeschichtlicher Perspektive vorgestellt, im Gespräch mit der spätmittelalterlichen Diskussion kontextualisiert und in den Dialog mit gegenwärtigen Debatten gebracht.