Das Europa des 18. und 19. Jahrhunderts steht gemeinhin für einen Kontinent der Herausbildung der Nationen und der industriellen Moderne. Doch welche Teile der Geschichte verbirgt dieser Blick auf Europa als einen rasanten Erneuerer und Revolutionär ökonomischer sowie gesellschaftlicher Verhältnisse? Am zweiten Abend der Akademievorlesung „Europa in globaler Perspektive“ nehmen die Historiker Ute Frevert und Andreas Eckert die Kehrseiten einer durch die industrielle Revolution und technischen Fortschritt gekennzeichneten Epoche unter die Lupe. In ihren Vorträgen beleuchten sie die repressiven Fundamente des nationalistisch und imperialistisch geprägten Europas dieser Zeit.
Akademiemitglied Ute Frevert untersucht in ihrem Vortrag den ambivalenten Zusammenhang zwischen kriegerischen Auseinandersetzungen und der Nationenbildung in Europa. So betont sie: „Kriege wirken als Geburtshelfer und Durchlauferhitzer nationaler Bewegungen und Programme. Aber Kriege geraten ihrerseits unter nationalistischen Einfluss und werden je länger, desto mehr als Volkskriege mit entgrenzter Zerstörungsgewalt geführt.“
Daraufhin erinnert Andreas Eckert, Professor für afrikanische Geschichte, an eine andere Seite europäischer Gewalt: dem Kolonialismus. Sein Vortrag widmet sich den Komplexitäten kolonialer Herrschaftsgeschichte und fragt nach den Gründen bzw. ideologischen Legitimationsargumenten dieser Gewaltbereitschaft. Schließlich verweist er auf eine Verbindung zwischen kolonialer Gewalterfahrung und der Kriegsführung europäischer Staaten.
KRIEG UND FRIEDEN: DAS EUROPA DER NATIONALSTAAT
Vortrag: Ute Frevert
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Akademiemitglied
LABOR DER GEWALT? EUROPÄISCHE IMPERIEN UND KOLONIALE KRIEGE
Vortrag: Andreas Eckert
Humboldt-Universität zu Berlin
Moderation: Jürgen Renn
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
Wofür steht Europa? In den vorherrschenden Bildern und Imaginationen von Europa gelten normative Ansprüche auf Rationalität, Aufklärung, Liberalismus, Moderne, bürgerliche Gleichheit und universelle Menschenrechte als Entdeckungen europäischer Geschichte. Doch ist die Selbstverständlichkeit dieser Annahmen historisch betrachtet noch haltbar?
Die im Rahmen des Jahresthemas 2013|14 „Zukunftsort: EUROPA“ stattfindende Akademievorlesung „Europa in globaler Perspektive“ betrachtet in Doppelvorträgen transformative Epochen europäischer Geschichte. Mit ihren binnen- und außereuropäischen Sichtweisen präsentieren Akademiemitglieder und Gäste alternative Lesarten, die eine universalistische Geschichtsschreibung in Frage stellen - zugunsten einer Vielfalt der Perspektiven.
Mit freundlicher Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft.
Weitere Termine der Vorlesungsreihe:
Die Initiative Jahresthema 2013|14 „Zukunftsort: EUROPA“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften bietet eine Plattform, um die Aktivitäten wissenschaftlicher und kultureller Institutionen in Berlin und Brandenburg unter einem Themendach zu bündeln und Vernetzung nachhaltig zu fördern.