Kämpfe um Diskurskontrolle an deutschen Universitäten sind in letzter Zeit vornehmlich unter Rubriken wie „Cancel Culture“ oder „Political Correctness“ sowie über in den Medien berichtete Versuche, wissenschaftliche Vorträge zu stören oder gar zur Absage zu bringen, bekannt geworden. In diesen Kämpfen wie in ihrer medialen Aufbereitung werden zwei Grundrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Wissenschaftsfreiheit, häufig miteinander verwechselt. Sind die Orte der Ausübung dieser beiden Grundrechte heute noch streng voneinander zu trennen, wie Max Weber bereits vor hundert Jahren gefordert hat?
In der Vorlesung wird das Thema Diskurskontrolle weitergefasst. Es werden drei Bereiche besprochen, in denen potentielle Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit in liberalen Demokratien schlechthin, also nicht nur in Deutschland, festzustellen sind: (1) Debatten darüber, was Universitäten in der heutigen Gesellschaft überhaupt sind oder sein sollen. Hinzu kommen Debatten über den Inhalt wissenschaftlicher Begriffe wie Geschlecht oder Kolonialismus und wer sie auf welche Weise auslegen darf (2) der Strukturwandel der Öffentlichkeit und der damit einhergehende Sittenwandel im Zeitalter der nicht mehr ganz neuen digitalen Medien; (3) der Kampf um Wissensmacht und Selbstbestimmung innerhalb der Universitäten. Hierzu zählen u. a. die zunehmende Vorherrschaft administrativen Denkens (Stichwort „Qualitätssicherung“) und quantitativer Kriterien der Beurteilung wissenschaftlicher Arbeit. Nimmt man alle drei Bereiche zusammen in den Blick, weil sie miteinander verbunden sind, dann wird deutlich, dass hier von „academic politics“ in unterschiedlicher Ausprägung die Rede ist.
PROGRAMM
Vorlesung
- Mitchell G. Ash (Akademiemitglied, Universität Wien, stellvertretender Sprecher der IAG „Wandel der Universitäten“)
AKADEMIEVORLESUNG – Perspektiven auf die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland
Ist die Wissenschaftsfreiheit durch das deutsche Hochschulsystem gefährdet? Je nach Perspektive und Thema könnte die Antwort „ja“ oder „nein“ lauten, wie die Mitglieder der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Wandel der Universitäten“ festgestellt haben. Mögliche Antworten werden Uwe Schimank mit Blick auf das Thema Unterfinanzierung der Hochschulen und Mitchell Ash im Hinblick auf das Thema Diskurskontrolle geben. Ob die Wissenschaftsfreiheit bei Forschenden unterhalb der Professur gefährdet ist, wird die Podiumsdiskussion zum Abschluss der Veranstaltungsreihe näher beleuchten.
Eine Veranstaltungsreihe der IAG „Wandel der Universitäten und ihres gesellschaftlichen Umfelds: Folgen für die Wissenschaftsfreiheit?“ im Rahmen der Berlin Science Week.