Arbeitsbericht 2004
Wolfgang Fratzscher
Unter der Federführung der Akademiemitglieder Wolfgang Fratzscher (Halle), Jürgen Mittelstraß (Konstanz) und Eberhard Heinrich Knobloch (Berlin) sowie Heiner Kaden (Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften) führte die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und unter Mitwirkung der Akademie der Wissenschaften Lettlands sowie der Akademie der Wissenschaften Estlands am 26. und 27. November 2004 in Berlin ein Wilhelm Ostwald-Symposion durch. Es war dem interdisziplinären Wirken des Nobelpreisträgers und Mitglieds der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Wilhelm Ostwald, gewidmet und ergänzte die disziplinär orientierten Veranstaltungen, die aus Anlaß seines 150. Geburtstages im Jahr 2003 durchgeführt worden waren. Darüber hinaus wurde geprüft, in welcher Weise Ostwalds interdisziplinärer Arbeit sowie seinen internationalen Verbindungen weiter nachgegangen werden soll.
Mit einem Vortrag zum Thema „Kind seiner Zeit: Ostwald aus wissenschaftshistorischer Perspektive“ eröffnete Ortrun Riha, Direktorin des Carl-Sudhoff-Institutes, Leipzig, und Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, das Symposion. In der Diskussion wurde angeregt, die Biographien der Gründerväter der Physikalischen Chemie (van’t Hoff, Arrhenius) mit den Biographien jener Wissenschaftler zu vergleichen, deren Interessen ähnlich breit bis hin zu gesellschaftlichen Problemen gelagert waren (z.B. Rudolf Diesel, Felix Klein), um somit neue Einblicke und Einordnungen ableiten zu können. – Im Anschluß daran gab Erki Tammiksaar vom Karl Ernst von Baer Museum aus Tartu, Estland, einen Überblick über Wilhelm Ostwald und Tartu (Dorpat). Sein Vortrag verdeutlichte die aus dieser Zeit resultierenden Einflüsse, die als maßgeblich für Ostwalds Atheismus gewertet werden können. In der Diskussion wurde deutlich, daß die estnische Seite an einer Edition von Ostwalds bisher unveröffentlichtem Briefwechsel interessiert ist, soweit er insbesondere Einblicke in institutionelle, soziale und gesellschaftliche Gegebenheiten ermöglicht.
Die Vorträge von Klaus Mainzer, Philosophisches Institut der Universität Augsburg, und Wolfgang Fratzscher nahmen Ostwalds Formulierungen des Entropiesatzes und der von ihm daraus gezogenen Konsequenzen zum Ausgangspunkt. – Während Mainzer die Konsequenzen auf dem Gebiet der Nichtgleichgewichtsthermodynamik verfolgte und dabei auf sehr aktuelle Bezüge hinwies, legte Fratzscher ein in sich geschlossenes Konzept einer Energetik für technische Systeme dar.
Interessant waren die Ausführungen von Jan J. Koenderink (Lehrstuhl „Physics of man“ an der Universität Utrecht, Niederlande) über „Ostwald and the Theory of Colors“. Er vermittelte eine Einschätzung der Leistungsfähigkeit und Grenzen der Ostwaldschen Farbenlehre aus heutiger Sicht im Vergleich zu anderen Ansätzen. Im Unterschied zu Ostwalds Arbeiten auf den anderen Gebieten sei seine Farbenlehre in der angelsächsischen Fachliteratur kaum bekannt. Bemerkenswert erscheint die Möglichkeit, daß Ostwalds Auffassungen Grundlage einer digitalisierten Darstellung des gesamten Farbkegels sein können.
Zur Vervollständigung von Ostwalds Bild trugen die Ausführungen von Frank-Michael Matysik vom Analytischen Institut der Universität Leipzig bei, der über „Ostwalds Meilensteine und Akzente auf dem Gebiet der Physikalischen Chemie und Elektrochemie“ sprach. Das ist wohl das bisher bekannteste Feld der interdisziplinären Arbeit Ostwalds.
Eine Diskussion über Ostwalds Auffassungen zur Ausbildung im weitesten Sinn – der wohl breiteste Bereich seines interdisziplinären Schaffens – beschloß das Symposion. Regine Zott aus Berlin berichtete über „Bewirtschaftung des Geistes – Wilhelm Ostwald über Lernen, Studieren und Reformieren“. So ließe sich in Ostwalds Arbeiten eine Fülle von taktischen und strategischen Anregungen finden, die gerade in Deutschland nach wie vor von aktueller Bedeutung seien. Nach den Ergebnissen der letzten Pisa-Studie gelte dies insbesondere für den naturwissenschaftlich-technischen Bereich.
Am Rande der Veranstaltung wurde mit den Vertretern der Akademie der Wissenschaften Lettlands, Altpräsident Talis Millers und E. Tammiksaar aus Estland über eine mögliche Zusammenarbeit mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gesprochen, die sich auf eine Erschließung des entsprechenden Briefwechsel Ostwalds beziehen könnte.