Die Arbeitsgruppe, deren Einrichtung im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Vorbereitung auf den 300. Jahrestag der Gründung der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften in Berlin, der späteren Preußischen Akademie der Wissenschaften stand, rekonstruierte Aspekte der jüngeren Geschichte der Berliner Akademien der Wissenschaften. Im Sommer 1700 gründete Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg auf Initiative von Gottfried Wilhelm Leibniz und mit beharrlicher Unterstützung der Kurfürstin Sophie Charlotte die Kurfürstlich Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften in Berlin. Diese Neugründung besetzte von Anfang an zwei Bereiche: einerseits verhandelte, kommunizierte, debattierte, bisweilen auch produzierte sie wissenschaftliche Arbeiten; andererseits war sie eine Prestigegründung in einer damals wenig attraktiven oder repräsentativen Residenzstadt.
Anläßlich des 300. Jahrestages dieser Gründung wollte die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften den Spannungsbogen der Geschichte ihrer Vorgängerinnen sich und der Öffentlichkeit verstärkt vergegenwärtigen. Darauf bereitete sie sich durch Forschung und Diskussion vor. Den letzten anderthalb Jahrhunderten gebührte hierbei besondere Aufmerksamkeit, denn die jüngere Geschichte der Akademien im rasanten Wandel der Wissenschaften und im raschen Wechsel der politischen Systeme vom Kaiserreich bis zum wiedervereinigten Deutschland der Gegenwart war von zentraler Bedeutung für das Bild, das die Akademie von sich selbst entwarf und der Öffentlichkeit vermitteln konnte. Es ging darum, die Geschichte der Berliner Akademien seit etwa 1870 in die allgemeine soziale, politische, wissenschaftlich-kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Zeit einzubetten.
Fragestellungen und Untersuchungsbereiche der Arbeitsgruppe
1. Die Funktionen der Akademie waren zum Zeitpunkt ihrer Gründung umfassend bestimmt. Nach dem Vorbild der Londoner Royal Society gehörten dazu die Erzeugung neuen Wissens in eigenen Einrichtungen, die Definition und Kontrolle wissenschaftlicher Standards, die Evaluierung wissenschaftlicher Befunde sowie die Veröffentlichung und Verbreitung von Wissen in der Gesellschaft. Im Verlauf der gesellschaftlichen Modernisierung kam es zur institutionellen und funktionalen Differenzierung des Wissenschaftssystems. Wie sich dabei Stellung, Funktion und Arbeitsweise der Akademie verändert haben und ob die Geschichte der Akademie im 19. und 20. Jahrhundert - jedenfalls bis 1945 - vor allem als eine Geschichte ihrer Funktionsverarmung verstanden werden muß, sind Fragen, die der Klärung bedürfen.
2. Die Geschichte der Wissenschaften kann als Prozeß der Ablösung und Neubildung, der Aufteilung, Verbindung und Neuabgrenzung von Disziplinen, Teildisziplinen und Subdisziplinen rekonstruiert werden. Dem allgemeinen Prozeß zunehmender disziplinärer Spezialisierung stellte die Akademie verschieden motivierte Ansätze zu interdisziplinärer Kooperation und fächerübergreifender Verknüpfung entgegen. Zu fragen ist: Wie und aufgrund welcher Kriterien, Anstöße und Entscheidungen änderte sich das in der Akademie vertretene Spektrum der Disziplinen? Wann, wie und warum kam es zur Einbeziehung neuer Disziplinen? Wie wurden die Disziplinen in der Akademie und ihren Klassen zusammengefaßt und voneinander abgegrenzt?
3. Charakteristisch für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wird ein Prozeß, der im 19. Jahrhundert begann: Neben dem Gelehrten älteren Zuschnitts, dem 'Deutschen Mandarin', brachte die weitergehende Differenzierung und Arbeitsteilung im Wisssenschaftssystem den Typus des wissenschaftlichen Spezialisten hervor: Wissenschaft wurde zum spezialisierten Beruf. Veränderte sich auch das Profil des typischen Akademiemitglieds? Waren Doppelrollen häufig?
4. Mit welchen Mitteln, mit Hilfe welcher Ressourcen und in welchen Formen nahm die Akademie ihre Funktionen wahr? Wie veränderte sich ihre institutionelle und organisatorische Ordnung, wie ihre Finanzierung?
5. Mit großer Sorgfalt soll der sich verändernden Stellung der Akademie in Gesellschaft und Staat nachgegangen werden. Dabei ist für die Jahre nach 1945 die Akademie als Berliner, als Institution der Sowjetisch besetzten Zone/DDR mit und ohne gesamtdeutschen Anspruch zu thematisieren.
6. Eng mit den vorangehenden Fragen ist die nach der personellen Zusammensetzung der Akademie verbunden. Wer wurde - auf welche Weise - Mitglied der Akademie, wer wurde es - trotz entsprechender Vorschläge - nicht? Wer nahm leitende Positionen ein?
Personengeschichtliche (prosopographische) Langzeitstudien können die soziale, regionale, nationale und institutionelle Herkunft, Geschlecht, Alter und Karrieren der Akademiemitglieder, nach Disziplinen und Perioden differenziert, ermitteln.
7. Schließlich ist die Akademie im überregionalen und internationalen Zusammenhang in den Blick zu nehmen. Zu fragen ist nach den Mustern der Konkurrenz und Kooperation, besonders im Verhältnis zu anderen Akademien, sei es in anderen deutschen Ländern, sei es im Ausland. Die Geschichte der Berliner Akademie soll durch Vergleiche mit den Akademien anderer Länder in breitere nationale und internationale Zusammenhänge eingebettet werden.
Umsetzung der Ziele und bisherige Ergebnisse
Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, zum Jahr 2000 wichtige Aspekte vor allem der jüngeren Geschichte der Berliner Akademie(n) der Wissenschaften auf drei repräsentativen, international besetzten Kolloquien mit Schwerpunkten auf der Akademiegeschichte im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutschland sowie in der SBZ/DDR unter Einbeziehung der kurzen Geschichte der Westberliner Akademie zu rekonstruieren.
Das erste Kolloquium 1997 'Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich' beschäftigte sich vor allem mit der Stellung der Preußischen Akademie relativ zu anderen deutschen Gelehrtensozietäten dieser Zeit wie auch mit der Entwicklung der Akademie angesichts des Aufstiegs der Berliner Universität und der entstehenden außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Der erste Kolloquiumsband, herausgegeben von Jürgen Kocka unter Mitarbeit von Rainer Hohlfeld und Peter Th. Walther, ist 1999 erschienen.
Im folgenden Jahr, im Oktober 1998, fand das zweite Kolloquium unter dem Titel 'Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Krieg und Frieden, in Republik und Diktatur 1914-1945' statt. Wie ein roter Faden zog sich durch das Kolloquium die Frage, inwieweit und unter welchen Bedingungen die national und international in den Akademien repräsentierte Wissenschaft unter Kriegsbedingungen und nationalsozialistischer Herrschaft die Norm wissenschaftlicher Universalität und die Norm politischer Neutralität verletzte. Gegenüber der neuen demokratischen Republik verhielt sich die Mehrheit der monarchiegeprägten Akademiemitglieder reserviert. Nach 1933 versuchte Max Planck als Sekretar der Akademie wie auch als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft beide Institutionen aus den Zielsetzungen der nationalsozialistischen Forschungs- und Wissenschaftspolitik herauszuhalten und einen normalen wissenschaftlichen Alltag zu sichern; das aber gelang nur um den Preis von Kompromissen. Die ideologische Wende von der 'reinen' Wissenschaft zu einem Wissenschaftsverständnis, das sich einer Kooperation mit der Industrie gegenüber aufgeschlossen zeigte, erfolgte in der Akademie - im Unterschied zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft - nur sehr zögernd; doch der Einzug der angewandten Wissenschaften in die Akademie war in den dreißiger Jahren nicht mehr aufzuhalten. Der zweite Kolloquiumsband, herausgegeben von Wolfram Fischer unter Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Rainer Hohlfeld, ist 2000 erschienen.
Das dritte Kolloquium fand vom 4. bis 6. November 1999 unter dem Titel "Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945-1990" statt. Die Entwicklung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR stand im Mittelpunkt des Kolloquiums. Hier gelang es einerseits, die Entwicklung der Akademie als Gelehrtengesellschaft nachzuzeichnen: von der 'Rest-Akademie' der Preußischen Akademie über eine zwischen gesamtdeutschen Ambitionen und Einbindungen in die SBZ/DDR lavierenden Körperschaft zur 'Nationalakademie' der DDR, in der die Kreisleitung der SED schließlich den Kurs eher bestimmte als das Akademiepräsidium. Auf einer zweiten Ebene wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Forschungsinstituten der Akademie und der Gelehrtensozietät diskutiert. Hier zeigte sich, dass mit der Abkoppelung des Forschungspotentials aus der Kontrolle der Klassen der Gelehrtengesellschaft seit 1957 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen innerhalb der Akademie gegründet wurden, die mit der Gelehrtengesellschaft kaum mehr gemein hatten als den Briefkopf.
In einer eigenen Sektion wurde die Konzeption und Arbeitspraxis der Akademie der Wissenschaften zu Berlin erörtert. Als Stärkung des Wissenschaftsstandorts West-Berlin vorgesehen, geriet sie jedoch durch die Ablehnung des Regionalprinzips für ihre Mitglieder, die fehlende Einteilung in Klassen und die Etablierung von drei- bis fünfjährigen Arbeitsgruppen als ihrer spezifischen Arbeitsform in voraussehbare Konflikte mit den westdeutschen, Langzeitprojekten verpflichteten Regional-Akademien. Der dritte Kolloquiumsband, herausgegeben von Jürgen Kocka unter Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther, ist 2002 erschienen.
In einem vierten Kolloquium im Dezember 2000 mit dem Titel 'Akademiegeschichtsschreibung am Ende des 20. Jahrhunderts' wurde eine reflektierende Bilanz der Arbeit gezogen und der Frage nachgegangen, wie man Akademiegeschichte hundert Jahre nach Adolf Harnacks Werk schreiben kann. In diesem Kolloquium kam es darauf an, die Akademie über den ganzen Zeitraum seit 1700 zu betrachten, eine Bilanz im Epochenvergleich zu ziehen, die historische Leistung der Akademiebewegung zu würdigen und die Frage nach dem Ertrag einer Akademiegeschichtsschreibung im Kontext der modernen Wissenschaftsgeschichte zu stellen.