„Ueberdies habe ich viele Zeit verwendet, um alle vergänglichen Naturkörper durch colorirte Zeichnungen oder wenigstens durch genaue Umrisse auf der Stelle festzuhalten […].“
Christian Gottfried Ehrenberg an Alexander von Humboldt. Triest, Januar 1826
Der Mediziner, Zoologe und Botaniker Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876) gehört zu den zentralen Figuren der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Er war ab 1826 Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und von 1842 bis 1867 Sekretar ihrer Physikalisch-mathematischen Klasse.
Forschungsreisen führten Ehrenberg in den Nahen Osten (1820–1825) und nach Zentralasien (1829). Die systematische Beschreibung von Kleinstlebewesen machte ihn zu einem der bekanntesten Naturforscher seiner Zeit.
Über 3.500 seiner wissenschaftlichen Zeichnungen, die auf Reisen und am heimischen Mikroskop entstanden, werden heute im Museum für Naturkunde Berlin und im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufbewahrt. Ehrenberg bezeichnete sie in einer späten autobiographischen Notiz als „Lebensbilder“. Die 29 Motive der Ausstellung reichen vom Gebirgspanorama bis zum Glockentierchen.
Die Ausstellung verteilt sich auf drei thematische Bereiche:
Die Bilder zeigen Ehrenberg als Zeitgenossen Alexander von Humboldts und Charles Darwins: Die präzise Vermessung und anschauliche Darstellung des Lebendigen galten dem mikroskopisch Kleinsten ebenso wie dem allbelebten Ganzen der Natur.
An dieser Stelle laden wir Sie herzlich ein, unsere Ausstellung im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt auch digital zu erkunden. Zusätzliches Bildmaterial und weiterführende Links bieten Startpunkte für Ihre eigene Reise durch Ehrenbergs Leben und Werk. Wir wünschen Ihnen viel Freude!
Die Ausstellung wurde von dem Akademienvorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ im Zentrum „Preußen–Berlin“ und dem Jahresthema 2021|22 „Die Vermessung des Lebendigen“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) konzipiert. Sie findet in Zusammenarbeit mit dem Archiv der BBAW sowie der Historischen Arbeitsstelle und den Mikropaläontologiesammlungen des Museums für Naturkunde zu Berlin statt.
Gefördert von der Stiftung Preußische Seehandlung
Kuratiert von Dr. Ulrich Päßler
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „HiN - Alexander von Humboldt im Netz“ widmet sich Ehrenberg und ist zugleich Katalog zur Ausstellung.
Heinrich Menu von Minutoli unternahm 1820 eine Reise nach Nordafrika zur Erforschung ägyptischer und griechischer Altertümer. Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften bestimmte die jungen Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg und Wilhelm Hemprich als weitere Teilnehmer.
Während Minutoli bereits ein Jahr nach Beginn der Expedition nach Europa zurückkehrte, setzten Ehrenberg und Hemprich ihre Forschungen fort. Von Alexandria aus unternahmen sie, zum Teil getrennt, Exkursionen in die libysche Wüste, auf die Sinaihalbinsel, zum Roten Meer, in das Libanongebirge sowie bis in den Sudan und ins heutige Eritrea, wo Hemprich 1825 dem Malariafieber erlag.
Wie von der Akademie der Wissenschaften beauftragt, sammelten Ehrenberg und Hemprich insgesamt 34 000 Tiere, 46 000 Pflanzen und 300 Mineralien. Diese trafen im Laufe der Jahre, verpackt in insgesamt 114 Kisten, in Berlin ein. Die Akademie stellte Mittel für die Auswertung der Sammlungen zur Verfügung. Ehrenbergs Reisebericht blieb aber ebenso Fragment wie das großangelegte Tafelwerk Symbolae physicae.
Christian Gottfried Ehrenberg widmete einen großen Teil der Reise in den Nahen Osten der Untersuchung der Korallen, Seeanemonen und Quallen des Roten Meeres. Ehrenberg gelang es, Farbigkeit, Formenvielfalt und Aufbau der empfindlichen Nesseltiere wissenschaftlich exakt zu beschreiben. Dazu brachte er die Exemplare zunächst in Wasserbehältern von den Korallenbänken zu seiner Zeltunterkunft. Hier, direkt am Meeresufer, zeichnete und sezierte er die Tiere. Später ging Ehrenberg dazu über, „Magazine im Meere selbst, in der Nähe des Landes“ anzulegen.
In seinen Zeichnungen hielt Ehrenberg die Farbigkeit und Form der lebenden Quallen, Seeanemonen und Korallen vor Ort fest. Die Bilder ergänzten die Naturobjekte, die er – getrocknet oder in Alkohol – für weitere Analysen aufbewahrte. Zurück in Berlin veröffentliche Ehrenberg mit Hilfe seiner Sammlungen, Zeichnungen und Feldnotizen die ersten präzisen Untersuchungen über den Aufbau der Korallen und Korallenbänke . Zahlreiche der Präparate Ehrenbergs werden noch heute in der Sammlung „Marine Wirbellose“ des Museums für Naturkunde Berlin aufbewahrt. Hier stehen sie der modernen Forschung für die Artbestimmung und Erforschung anatomischer Details zur Verfügung. Bei den vier hier abgebildeten Stücken aus der Sammlung handelt es sich um Typusexemplare, das heißt, sie lagen Ehrenbergs Erstbeschreibung der jeweiligen Art zugrunde.
Ehrenberg erforschte auf seinen Reisen unter anderem die Fähigkeit von Lebewesen, Licht zu reflektieren oder zu erzeugen, die sogenannte Biolumineszenz. Neben dem Phänomen des Meeresleuchtens interessierte ihn auch die Lichtreflexion der Augen von Säugetieren. Die drei Blätter zeigen die reflektierende Schicht (Tapetum lucidum) im Augeninneren verschiedener, zum Teil nachtaktiver Tiere: Nubischer Steinbock (Capra caucasica = Capra ibex nubiana), Kaphase (Lepus capensis), Weißschwanzmanguste (Herpestes leucurus = Ichneumia albicauda) sowie die Fuchsarten Blassfuchs (Canis pygmaeus = Vulpes pallida) und Canis vulpecula.
Ehrenberg und Hemprich sammelten auf ihrer Reise über 400 Fischarten. Bei der Beschreibung unterlief Ehrenberg aber auch ein Fehler: Er hielt die auf der Zeichnung deutlich zu erkennenden spiralförmigen Windungen der Kiemen des Knochenzünglers (Heterotis niloticus) fälschlicherweise für eine Gehörschnecke.
Während Ehrenbergs Interesse auf den Reisen neben den Fischen und wirbellosen Meerestieren vor allem Spinnen und Insekten galt, sammelte Hemprich hauptsächlich Säugetiere und Vögel. Hemprich benannte den Abdimstorch nach ’Ābidīn Bey al-Arnā’ūt (um 1780–1827), dem Gouverneur der türkisch-ägyptischen Provinz Dunqula.
Im Oktober 1823 bereisten Ehrenberg und Hemprich die Küste des Roten Meeres und die Sinaihalbinsel. Die Besteigung des Berges Sinai diente neben der zoologischen Sammlung auch botanischen und pflanzengeographischen Beobachtungen. An den Berliner Botaniker Heinrich Friedrich Link schrieb Ehrenberg am 12. Oktober 1823: „Was das rothe Meer für Zoologie war, war jenes Gebirge für die Botanik, die Quelle eines herrlichen Schatzes.“ Horizontalpanoramen – wie das hier gezeigte – dienten der Wiedergabe des Totaleindrucks eines Gebirges und waren bereits im 18. Jahrhundert unter anderem durch Horace Bénédict de Saussures Voyages dans les Alpes populär. Ehrenberg sollte auch auf der russisch-sibirischen Reise 1829 ein ähnliches Panorama des Altaigebirges entwerfen.
„Eine der größten Freuden meines Lebens würde sein, einmal 5–6 Monathe mit Ihnen, an Ihrer Seite, unter Ihrer Belehrung reisen zu können. Süßwassermuscheln, Fische, Bergpflanzen Rußlands sind wenig bekannt.“
Mit diesen Worten lud Alexander von Humboldt seinen Akademiekollegen Ehrenberg zur Teilnahme an der russisch-sibirischen Reise ein, die Humboldt auf Einladung des Kaisers Nikolaj I. unternahm. Nur wenige Jahre nach der Rückkehr von der arabisch-afrikanischen Forschungsreise brach Ehrenberg also erneut auf: Am 12. April 1829 traten Humboldt, Ehrenberg und der Mineraloge Gustav Rose ihre Reise in Berlin an. Diese führte sie in neun Monaten über 19 000 Kilometer in den Ural und durch Westsibirien bis zur russisch-chinesischen Grenzstation Baty. Während Humboldt und Rose die Hüttenbezirke im Ural und Altai inspizierten, legte Ehrenberg botanische und zoologische Sammlungen an.
Bei den Argamaks handelt es sich um eine sehr ausdauernde und schnelle Pferderasse Zentralasiens. Ehrenberg zeichnete das Exemplar während des Aufenthaltes in Orenburg am Rand der kasachischen Steppe. Im Tagebuch beschreibt er ein Pferderennen, das dort zu Ehren der Gäste abgehalten wurde: „Wettlauf der Pferde. Als Zwischen-Act: Ringen und Musik. […] Die Pferde kommen an und die ersten werden belohnt. […] Purzelbäume auf dem Pferde geschlagen von Kirgisen.“
Die genau dokumentierte Anordnung der acht Punktaugen und des Mundbereiches dient der systematischen Bestimmung der Spinnentiere.
Wie bereits auf der Reise durch den Nahen Osten untersuchte Ehrenberg auch in Russland die Entwicklung von Insektenaugen. Da die Färbung der Augen bei gesammelten Exemplaren schnell verblasst, legte Ehrenberg besonderen Wert auf die exakte zeichnerische Wiedergabe der Farbgebung.
Die auf der russisch-sibirischen Reise in kurzer Zeit zurückgelegten großen Entfernungen nutzte Ehrenberg für Untersuchungen der geographischen Verteilung von Pflanzen und Tieren. Die an verschiedenen Orten entstandenen Zeichnungen von Algen, Mikroorganismen oder – wie hier – Fadenwürmern stellte er anschließend auf einem Blatt zusammen. Unter den Zeichnungen gibt Ehrenberg die Länge der Objekte in Bruchteilen einer Pariser Linie an (1 Linie = 2,25 mm).
Das Akademienvorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ veröffentlicht in seiner edition humboldt digital neben den Tagebüchern der amerikanischen Reise Humboldts (1799–1804) auch Quellen zur russisch-sibirischen Reise. Dazu gehören unter anderem Alexander von Humboldts Fragmente des Sibirischen Reise-Journals 1829 sowie Ehrenbergs Reisetagebuch . In der über 300 Briefe umfassenden Korrespondenz Humboldts mit Ehrenberg war die gemeinsame Forschungsreise ebenfalls ein wiederkehrendes Thema.
Die Reisegesellschaft erreichte am 3. Juli 1829 Bogoslovsk (heute Karpinsk) und damit den nördlichsten Punkt ihrer Reise. Hier besuchten die Reisenden Kupfergruben sowie ein Goldseifenwerk. Sie untersuchten auch den Dauerfrostboden. Ehrenberg hielt den überwältigenden Eindruck des Nordurals in einer Zeichnung fest. Er schilderte die Landschaft zudem in seinem Reisetagebuch: „Um 9 Uhr Abends bey Sonnenuntergang Ansicht des Gebirgszuges des Urals herrlich köstlich überraschend entzückend. Auf dem höchsten im Westen gelegen[en] Rücken Konschakofski Kamen liegt noch Schnee.“
Der im westlichen Altai gelegene Kegelberg Sopka Mochnatja weckte wegen seiner ungewöhnlichen Form die Aufmerksamkeit Alexander von Humboldts und Gustav Roses. Ehrenbergs Skizze diente als Vorlage für eine Abbildung in Roses Reisebericht. Er erläuterte dort auch die abgebildete Grenzbefestigung: „Die Dörfer sind wegen der Anfälle der jenseits des Irtysch wohnenden Kirgisen mit spanischen Reitern umgeben, und heissen daher Redouten; aber diese Anfälle kommen jetzt wohl kaum mehr vor […].“
Ähnlich wie sechs Jahre zuvor auf der Sinaihalbinsel zeichnete Ehrenberg auch im Altai ein 360°-Horizontalpanorama des Gebirges. Aussichtspunkt war der Prochodnoj Belok genannte Höhenzug südlich der Bergbaustadt Ridder im heutigen Kasachstan. An Adelbert von Chamisso schrieb Ehrenberg am 13. Oktober 1829 aus Astrachan: „Erst am Altai sah ich andre als Berliner Pflanzen in überwiegender Menge […]. Die Prochotnoi Alpe, welche ich bestieg, hat mir nebst der Umgegend des Sees von Koliwan viele interessante Pflanzen, auch wohl Neues, gegeben.“
Nach den beiden großen Forschungsreisen konzentrierte Ehrenberg seine Arbeit in Berlin auf die systematische Beschreibung von Kleinstlebewesen, die sogenannten Infusorien. 1838 erschien eines seiner Hauptwerke: Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur.
Ehrenberg untersuchte tausende Proben aus aller Welt und wies Infusorien auf dem Grund der Weltmeere, in atmosphärischem Staub und in Hochgebirgen nach. Ausgehend von diesen Befunden beschäftigte er sich mit dem Anteil einzelliger, kieselschaliger Mikroorganismen an der Bildung von Erden und geologischen Formationen. 1854 legte Ehrenberg das Werk Mikrogeologie vor: In 41 Bildtafeln gab er weltweite „geographische Uebersichten über das kleine jetzige erdbildende Leben“. Christian Gottfried Ehrenberg gilt als Mitbegründer der Boden-Mikrobiologie und Mikropaläontologie sowie als Pionier der Kieselalgenforschung und Protozoologie.
Von Charles Darwin erhielt Ehrenberg eine Probe mit Passatstaub. Darwin hatte sie 1832 „auf den morgens betauten Segeln“ der HMS Beagle gesammelt. Mit Hilfe solcher aus aller Welt eingehenden Proben untersuchte Ehrenberg die geographische Verbreitung von Kleinstorganismen durch atmosphärische Strömungen.
Die Brüder Adolph, Hermann und Robert Schlagintweit unternahmen zwischen 1854 und 1857 eine Forschungsreise durch Indien und Zentralasien. Nach ihrer Rückkehr übergaben sie Ehrenberg in Berlin Gesteins- und Bodenproben aus dem Himalaya. Bärtierchen sind an extreme Umweltbedingungen angepasst – die hier abgebildete Art Milnesium schlagintweitii fand Ehrenberg in einer auf 5.500 Metern Höhe genommenen Probe.
Ehrenbergs mikrogeologische Untersuchungen führten ihn auch in die Baugruben der Dorotheen- und Friedrichstadt. In der Akademie der Wissenschaften berichtete er 1841, dass lebende, kieselschalige Organismen große Teile des Berliner Untergrundes bildeten. Anschließend musste Ehrenberg in einem öffentlichen Vortrag Befürchtungen widersprechen, die „Tierchen“ könnten die Stadt davontragen.
In dieser Zeichnung stellt Ehrenberg beispielhaft die Entwicklung eines Rädertierchens dar: von der Eiablage (Nummer 14 sowie oben Mitte) über die Entwicklung des Eies (Nummern 5 bis 10) bis zum Ausschlüpfen (Nr. 13). Links und rechts bildete Ehrenberg ein erwachsenes Tier von zwei verschiedenen Seiten ab.
Ehrenberg zeichnete eine Kolonie von „Hufeisenthierchen“, bestehend aus erwachsenen und jungen Tieren sowie Larven und Eiern.
Dieses Rädertier verfügt über besonders ausgeprägte Wimpernkränze. Mit ihnen kann es seine Nahrung, Grünalgen, herbeistrudeln, die hier durch kleine Punkte dargestellt sind. „Bei Berlin ist diess niedliche Thierchen zu fast allen Jahreszeiten sehr häufig“, notiert Ehrenberg.
Auf diesen Rädertieren entdeckte Ehrenberg wiederum Glockentierchen (Vorticella), die sich an der Panzerung festgesetzt hatten. Alexander von Humboldt griff diese Beobachtung im ersten Band seines Kosmos auf: „Die Allbelebtheit der Natur ist so groß, daß kleinere Infusionsthiere parasitisch auf größeren leben, ja daß die ersteren wiederum anderen zum Wohnsitz dienen.“
Ehrenberg erläutert diese Abbildung in seiner Beschreibung von Volvox globator: Die Grünalge führe das Rädertier Notommata parasita „wie in einer Kutsche oder einem Schiffe immer mit sich herum“.
Ehrenbergs Zeichnungen dienten der genauen Dokumentation des Beobachteten und als Vorlage für seine Veröffentlichungen. Die den Illustrationen zugrundeliegenden mikroskopischen Präparate, die Ehrenberg als eigentlichen Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Beweisführung ansah, bewahrte er ebenfalls auf. Objektträger und Zeichnungen sind in der Ehrenberg-Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin erhalten und für die heutige Forschung nutzbar.
Regine Jahn, Wolf-Henning Kusber (Botanischer Garten und Botanisches Museum , Freie Universität Berlin) und ihre Kolleg*innen greifen bei der Erforschung der Kieselalge Cocconeis auf Ehrenbergs Zeichnungen (Abb. 1) und Präparate (Abb. 2) zurück. Er hatte die Gattung 1837 erstmals wissenschaftlich beschrieben. Der Vergleich der Zeichnungen und Präparate Ehrenbergs mit modernen lichtmikroskopischen (Abb. 3) und rasterelektronenmikroskopischen (Abb. 4) Aufnahmen hilft bei der Identifizierung von Cocconeis-Arten.