Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. Dorothea Kübler.
Die Auszeichnung erfolgt im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 18. Oktober 2023 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Dorothea Kübler gelingt es, mit ihren wissenschaftlich fundierten Problemlösungen praktische gesellschaftliche Verbesserungen zu erzielen. Mit ihren anspruchsvollen experimentellen Arbeiten hat sie sich im Verlaufe ihrer wissenschaftlichen Karriere stets an Alltagsfragen orientiert. Aus diesem Grund gelingt es ihr nicht zuletzt, auch eine hohe Aufmerksamkeit in den Medien zu erreichen sowie den gesellschaftswissenschaftlichen Wert ökonomischer und experimenteller Forschung in der Öffentlichkeit deutlich zu machen.
Dorothea Kübler (Jg. 1966), studierte Volkswirtschaftslehre und Philosophie in Philadelphia, Konstanz und an der Freien Universität Berlin. Nach der Promotion (1997) und der Habilitation (2003) an der Humboldt-Universität zu Berlin ist sie seit 2004 Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin und seit 2009 zudem Direktorin der Abteilung „Verhalten auf Märkten“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Dorothea Kübler setzt sich schwerpunktmäßig mit experimentellen Methoden und mit der Spieltheorie (vor allem der Mechanismus-Design-Theorie) auseinander, um Entscheidungsprozesse zu untersuchen. Sie beschäftigt sich dabei mit sog. Matching-Märkten – also mit Märkten, auf denen Tausch ohne Geldzahlungen erfolgt. Beispiele hierfür sind der Markt für Organspenden oder der Markt für Studienplätze etc. Ihre Forschung umfasst sowohl rein theoretische als auch empirische Studien im Bereich der Kausalitätsanalyse, wobei sie vor allem im Bereich von Laborexperimenten und Vignettenstudien wichtige Akzente gesetzt und damit die experimentelle Wirtschaftsforschung maßgeblich neudefiniert hat.
Auf dem Gebiet der Spieltheorie hat ihre Forschung innovative Ergebnisse gezeitigt, um zu verstehen, wie Kooperationen in sozialen Dilemmata-Situationen zustande kommen. Durch ihre Forschung trägt Dorothea Kübler dazu bei, Probleme auf so verschiedenen Feldern wie der Bekämpfung eines Schwarzmarktes für Terminvergabeverfahren in Behörden oder der besten Zuteilung von Studierenden an Universitäten zu lösen. Dabei verknüpft sie gewinnbringend theoretische Forschung und Experimente und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Umsetzbarkeit ihrer Ergebnisse. Hervorzuheben ist dabei, dass Dorothea Kübler nicht nur die Grundlagenforschung bereichert, sondern ebenfalls gesellschaftlich relevante Ergebnisse geliefert hat, in der Politikberatung tätig ist und das Fach Volkswirtschaftslehre nach außen hin vertreten hat (beispielsweise im Senat sowie im Fachkollegium Wirtschaftswissenschaften der DFG). Darüber hinaus ist sie Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Einstein Stiftung Berlin. Seit Mai 2023 ist Dorothea Kübler zudem Stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
2020 wurde Dorothea Kübler der Schader-Preis in Würdigung ihrer Verdienste um die Forschung sowie ihres öffentlichen Wirkens zur Lösung gesellschaftlicher Probleme verliehen.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. Luís Greco.
Die Auszeichnung erfolgt im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 21. Oktober 2021 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Luís Greco ist einer der interessantesten Vertreter und originellsten Denker der zeitgenössischen Strafrechtswissenschaft. Sein wissenschaftliches Werk zeichnet sich durch eine intensive Verbindung von grundlagenorientiertem und strafrechtsdogmatischem Arbeiten sowie durch die Rezeption und Weiterentwicklung internationaler Diskussionen aus.
Luís Greco hat zunächst an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro in Brasilien, seinem Heimatland, Rechtswissenschaften studiert, bevor er in München ein LL.M.-Studium absolvierte und bei Claus Roxin promovierte (2008). Parallel zu seiner Habilitationsphase nahm er die Mühe auf sich, das deutsche Studium der Rechtswissenschaften bis zum Erwerb des Ersten Juristischen Staatsexamens (2015) zu absolvieren. Er war nach der Habilitation (ebenfalls 2015) zwei Jahre, nämlich von 2015 bis 2017, Inhaber eines strafrechtlichen Lehrstuhls an der Universität Augsburg. Seit Oktober 2017 hat er den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, ausländisches Strafrecht und Strafrechtstheorie an der Humboldt-Universität zu Berlin inne.
Grecos 2009 erschienenes Buch Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie (seine Dissertation) hat große Aufmerksamkeit erregt. Es handelt sich um eine beeindruckende Analyse, die mit dem Max-Weber-Preis 2011 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet wurde. Greco geht weit über eine deskriptive Aufarbeitung der Geschichte und Wirkungsgeschichte von Feuerbachs Straftheorie hinaus. Er setzt sich vielmehr mit den großen Themen Generalprävention und Schuld sowie den Stärken und Schwächen konsequentialistischer und deontologischer Begründungen des Sinns von Kriminalstrafe auseinander.
In seiner 2015 veröffentlichten Habilitationsschrift Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft. Grundlagen und Dogmatik des Tatbegriffs, des Strafklageverbrauchs und der Wiederaufnahme im Strafverfahrensrecht greift er ein viel zu selten verfolgtes Anliegen auf, nämlich die theoretische Durchdringung zentraler strafprozessualer Fragen (Veröffentlichungen zum Strafprozessrecht sind in der Regel allein an der Verfahrenspraxis und am geltenden Recht orientiert). In einer großen Zahl weiterer Veröffentlichungen zu Grundfragen des Strafrechts und Strafprozessrechts – auf Deutsch, Portugiesisch und Spanisch geschrieben –, zeigt Greco, dass es ihm regelmäßig gelingt, die oft zu enge Perspektive der deutschen Strafrechtswissenschaft zu weiten und durch neue, Debatten stimulierende Thesen „den allfälligen dogmatischen Schlummer“ zu unterbrechen (wie ein Rezensent seiner Habilitationsschrift anmerkte). Mit der Übernahme des großen, zweibändigen Lehrbuchs Strafrecht. Allgemeiner Teil von Claus Roxin (seit der 5. Auflage, 2020) zeigt Greco, dass er in der deutschen Strafrechtsdogmatik zuhause ist, gleichzeitig aber diese zu bereichern vermag, indem er die internationale Diskussion einbezieht.
Es gibt vermutlich weltweit keinen anderen Autoren, der wie Luís Greco mit der Literatur aus unterschiedlichen Sprachkreisen und unterschiedlichen Kulturen der Strafrechtswissenschaften intensiv vertraut ist. Grecos Arbeiten greifen das spanische und portugiesische Schrifttum, die deutsche Strafrechtsliteratur und die Diskussionen in der englischsprachigen Welt auf und verbinden ansonsten meist getrennt verlaufende Debatten. Charakteristisch ist sein Interesse an den Grundlagen des Strafrechts und die Mischung aus Vertrautheit mit der deutschen Strafrechtsdogmatik und einem ungewöhnlich breiten Blickwinkel. Dies befähigt ihn, sowohl etablierte Lehrsätze als auch zeitgenössisch-modische Phänomene einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. oec. Rainer Haselmann.
Die Auszeichnung erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 21. Oktober 2019 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Rainer Haselmann, geb. 1977, absolvierte zunächst von 1998 bis 2002 ein Masterstudium in Money and Banking an der Universität Maastricht, danach von 2002 bis 2006 ein Promotionsstudium an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Seine 2006 abgeschlossene Dissertation „Performance and Strategies of Banks in Transition Economies” wurde summa cum laude bewertet. Es folgten drei Jahre als Postdoc, ein Jahr an der Columbia University und zwei Jahre an der Universität Mainz. 2009 ging er als Juniorprofessor an die Universität Bonn und wurde dort 2011 zum Professor befördert. 2014 wechselte er an die Universität Frankfurt. Am dortigen Loewe-Zentrum Sustainable Architecture for Finance in Europe (SAFE) ist er als Programmdirektor für den Bereich Financial Institutions verantwortlich. Zusammen mit dem Juristen Tobias Tröger leitet er auch die DFG Kollegforschergruppe Foundations of Law and Finance.
Das Oeuvre von Rainer Haselmann ist bemerkenswert, sowohl in seiner Qualität als auch in seiner Quantität. Einem Juristen oder Naturwissenschaftler mag ein Output von elf Zeitschriftenartikeln und sieben Arbeitspapieren in dreizehn Jahren seit der Promotion als wenig erscheinen, in den Wirtschaftswissenschaften gibt es im deutschen Sprachbereich nur wenige, die Ähnliches aufzuweisen haben, zumal von den Zeitschriftenartikeln nach üblichem Verständnis vier in die Kategorien A+ und zwei in die Kategorien A gehören und die Arbeitspapiere auf vergleichbarem Niveau liegen.
Die besondere Leistung von Haselmann liegt darin, dass er es immer wieder versteht, vermutete Kausalzusammenhänge in der Realität empirisch dingfest zu machen und zu belegen. Das Problem, wie man aus beobachteten Korrelationen auf Kausalität schließen kann, ist für jegliche empirische Analyse zentral. Haselmann und seinen Koautoren gelingt es immer wieder, dieses Problem auf überzeugende Weise zu lösen. Dadurch leistet er einen erheblichen Beitrag für unser Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Realität.
Beispielhaft ist das Arbeitspapier “The limits of model-based regulation" (mit Behn und Vig, in Revision für Journal of Finance). Darin untersuchen die Autoren, wie "Basel II" das Verhalten der Banken beeinflusst hat. Mit "Basel II" ist hier die im sogenannten zweiten Basler Abkommen eingeführte Möglichkeit gemeint, dass die für die Eigenkapitalunterlegung eines Kredits maßgebliche Schätzung der Kreditrisiken von der Bank selbst anhand eines internen, bankeigenen quantitativen Modells (internal ratings) vorgenommen wird. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass bei Anwendung des durch Basel II eingeführten neuen Verfahrens die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit und die Schätzung der Verluste in einem Ausfall durchschnittlich optimistischer waren als bei Anwendung des vorher angewandten so genannten "Standard-Verfahrens", dass umgekehrt die tatsächliche Inzidenz der Ausfälle und Verluste bei dem neuen Verfahren größer war als beim Standardverfahren und auch deutlich größer als die Schätzungen hätten erwarten lassen. Das Ergebnis entspricht, dem, was der gesunde Menschenverstand vermuten würde, aber nur mit dem, was der gesunde Menschenverstand vermuten würde, hätte man im politischen Diskurs oder in einem Gerichtsverfahren einen schweren Stand. („Sie wollen uns doch nicht etwa unterstellen,....?!“) Die Crux der Analyse liegt in der Identifikation der Kausalitäten.
Dazu nutzen die Autoren den Umstand, dass "Basel II" in Deutschland stufenweise eingeführt wurde und das teilweise auch innerhalb eines Konzerns. Sie haben also z.B. aus 2006, 2007, 2008 Kreditvertragsdaten für beide Verfahren aus derselben Bank und aus 2009, 2010 Daten für die Inzidenz der Kreditrisken aus diesen Verträgen. Dadurch schließen sie die Möglichkeit aus, dass die Effekte, die sie messen, auf den Zeitpunkt der Kreditvergabe zurückzuführen waren, oder auf die Identität der Bank. Ich kenne wenige Untersuchungen, die das Problem der Identifikation von Kausalität so sorgfältig und so phantasievoll angehen. Die Bedeutung für die Wissenschaft und für die politische Diskussion um die Verfahren der Bankenregulierung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Der Artikel „Pro-Cyclical Capital Regulation and Lending" (mit Behn und Wachtel, Journal of Finance 2016) verwendet denselben Datensatz, um zu zeigen, dass „Basel II“ die Prozyklizität der Kreditvergabe deutlich erhöht hat. In der Krise 2009 wurden Kredite, für die die erforderliche Eigenkapitalunterlegung nach dem bankinternen Modell bestimmt worden war, deutlich stärker zurückgefahren als Kredite, für die die erforderliche Eigenkapitalregulierung nach dem Standardansatz bestimmt worden war. Dies galt auch dann, wenn für letztere eigene Risikoschätzungen auf der Grundlage des bankinternen Modells zur Verfügung standen, z.B. weil man für verschiedene Kredite an dasselbe Unternehmen einmal mit bankinternen Modellen und einmal mit dem Standardansatz gearbeitet hatte. Der beobachtete Effekt beruhte eindeutig auf dem Unterschied in der Berechnung des erforderlichen Eigenkapitals und nicht auf Unterschieden in der Einschätzung der Risiken. Im übrigen war der Effekt um so größer, je weniger die Bank mit Eigenkapital finanziert war.
Auch dieser Artikel ist von großer Bedeutung für die wissenschaftliche und die politische Diskussion. Die Prozyklizität der Kreditvergabe der Banken steht spätestens seit der Finanzkrise auf der Agenda. Die Vermutung, dass diese Prozyklizität durch die nach „Basel II“ verwandten Verfahren verstärkt wurde, steht seit langem im Raum. Die Arbeit von Behn, Haselmann und Wachtel liefert den empirischen Beleg dafür.
Auch hier ist der Umgang mit der Identifikation von Kausalität beispielhaft. Die verschiedenen Probleme, die dabei auftreten können, werden sorgfältig diskutiert; durch eine phantasievolle Verknüpfung verschiedener Datenbasen mit den Daten der Bundesbank über die langsame Einführung des „Basel II“-Ansatzes gelingt es, die Kausalität auf überzeugende Weise herauszuarbeiten.
Thematisch liegen die Arbeiten alle im Bereich Banken. In einer frühen Phase ging es vor allem um die Rolle von Banken und die Funktionsfähigkeit des Bankwesens in den sogenannten Übergangsländern, den früheren Mitgliedern des Warschauer Pakts oder deren Nachfolgestaaten, die sich lange Zeit im Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft befanden und teilweise sogar noch befinden. Das war auch der Gegenstand der Dissertation gewesen. In diesen Arbeiten geht es zunächst vor allem um die Rolle und das Verhalten ausländischer Banken in diesen Ländern. Dazu schätzt Haselmann (Emerging Markets Studies 2006) ein empirisches Modell des Kreditangebotsverhaltens ausländischer Banken. Aus heutiger Sicht überraschend ist der Befund, dass das Verhalten ausländischer Banken in den Übergangsländern durch langfristige Strategien bestimmt wurde und wenig auf makroökonomische Entwicklungen reagierte. (Das dürfte sich seit der Finanzkrise geändert haben.) Althammer und Haselmann (Journal of Comparative Economics 2011) entwickeln ein theoretisches Modell für das Verhalten ausländischer Banken, Haselmann und Wachtel (Journal of Banking and Finance 2011) zeigen, dass die Rolle dieser Banken in Kreditmärkten in der Empirie stark davon abhängt, ob es sich um relativ kleine oder um relativ große Märkte handelt.
Ein zweiter Themenkomplex betrifft die Wirkungen rechtlicher Regeln auf den Finanzsektor. Haselmann und Wachtel (Journal of Money, Credit and Banking 2010) sowie Haselmann, Pistor und Vig (Review of Financial Studies 2010) zeigen für verschiedene Finanzsysteme, dass die Ausgestaltung rechtlicher Regeln für den Umgang mit Kreditsicherheiten und für die Ausgestaltung von Insolvenzverfahren deutliche Auswirkungen auf die Bereitschaft von Banken zur Kreditvergabe haben, insbesondere die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen. Dabei scheinen die Regeln für Kreditsicherheiten wichtiger zu sein als die Regeln für Insolvenzverfahren. Hackbarth, Haselmann und Schoenherr (Review of Financial Studies 2015) führen eine entsprechende Untersuchung für die US-Insolvenzrechtsreform von 1978 durch und zeigen, dass die in dieser Reform vorgenommene Stärkung der Position der Anteilseigner im Insolvenzverfahren zum einen die Aktienrenditen der Unternehmen erhöht hat, zum anderen die Bereitschaft der Gläubiger zur Kreditvergabe gesenkt hat, so dass die erforderlichen Margen in den Kreditzinsen anstiegen, wobei die Effekte umso größer waren, je schwächer die Eigenkapitalpositionen der betroffenen Unternehmen waren.
Nach der Finanzkrise hat Rainer Haselmann seine Forschung ausgeweitet auf die Wirkungen der Bankenregulierung. Neben den bereits genannten Arbeiten zu „Basel II“ sind zwei neuere Arbeitspapiere zu erwähnen: “Capital Regulation, Market-Making, and Liquidity” (mit Singla and Vig) zeigt, dass die von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA 2011/12 erzwungene Eigenkapitalerhöhung die Banken veranlasste, sich aus Wertpapiermärkten zurückzuziehen, so dass diese Märkte weniger liquide wurden. „(Supra-)national Supervision“ (mit Singla und Vig) zeigt, dass die Europäisierung der Bankenaufsicht durch den Einheitlichen Europäischen Aufsichtsmechanismus die Aufsichtspraxis verschärft hat, dass sie konkret die Ansätze für das erforderliche Eigenkapital aufgrund höherer Risikogewichte erhöht hat und dass diese Verschärfung zu einer Reduktion der Kreditvergabe durch diese Banken geführt hat.
In einem weiteren Arbeitspapier „The Political Economy of Financial Regulation“ (ebenfalls mit Singla und Vig) wird eine Datenbasis zur politischen Positionierung der verschiedenen an den Verhandlungen im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht beteiligten Aufseher erstellt und untersucht. Dabei zeigt sich, dass Sonderpositionen einzelner Aufseher vor allem die Tatsache widerspiegeln, dass von ihnen beaufsichtigte Banken Sonderinteressen haben. Ob die Rücksichtnahme auf diese Besonderheiten eine Vereinnahmung der Aufseher durch die Beaufsichtigten oder echte Anliegen der Finanzstabilität widerspiegeln, bleibt offen. Es ist dies jedenfalls die erste mir bekannte Arbeit, die versucht, das Auftreten der Verantwortlichen in den Baseler Verhandlungen empirisch zu erklären.
Um politische Ökonomie geht es auch in dem Arbeitspapier „The Political Economy of Bailouts“ (mit Bian, Kick und Vig). Hier wird untersucht, wovon die Bereitschaft der Amtsträger in deutschen Kommunen zum Einschießen zusätzlicher Mittel bei Problemen ihrer Sparkassen abhängt. Während die Probleme dieser Institute unabhängig von den jeweiligen Wahlterminen auftreten, zeigt sich, dass die Bereitschaft zum Einschießen zusätzlicher Mittel im Jahr vor einer Wahl um 30% geringer ist als im Jahr nach einer Wahl. Es zeigt sich auch, dass solche Direkthilfen der Kommunen mit weniger drastischen Sanierungsmaßnahmen einhergehen und letztlich deutlich teurer sind als die Hilfen, die von den Sparkassenverbänden geleistet werden.
Schließlich untersuchen Behn, Haselmann und Vig (Journal of Political Economy 2018) die Auswirkungen der gemeinsamen Mitgliedschaft von Verantwortlichen von Banken und von Unternehmen der Realwirtschaft in Service Clubs (Rotary, Lions). Sie fügen die aus einem Mitgliederverzeichnis erstellte Datenbasis zusammen mit Bundesbankdaten über Kreditvergabe und stellen fest, dass eine solche gemeinsame Mitgliedschaft nicht nur mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Kreditbeziehung, sondern auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen einhergeht.
Die vorstehende Beschreibung einzelner Bäume sollte nicht den Blick auf den Wald verstellen, um den es diesem Wissenschaftler geht. Hinter den verschiedenen Einzelbeiträgen steht ein konsequent verfolgtes wissenschaftliches Programm. Ziel dieses Programms ist es, in unserem Denken über den Finanzsektor über abstrakte, notwendigerweise pauschale theoretische Erwägungen hinauszugehen und ein klares Verständnis der Empirie zu gewinnen. Insbesondere geht es darum, den Einfluss der rechtlichen, administrativen und politischen Rahmenbedingungen auf das Verhalten von Finanzinstitutionen empirisch zu erfassen.
Die Konzentration auf den Finanzsektor mag als speziell erscheinen. Es ist dies aber nicht irgendein Sektor, sondern der Finanzsektor ist für viele Aspekte des Wirtschaftslebens paradigmatisch: Er betrifft in irgendeiner Form alle andere Wirtschaftstätigkeit, Probleme von Information, Vertrauen und Governance spielen im Umgang mit Geld eine besondere Rolle, und dieser Sektor untersteht wie kaum ein anderer der staatlichen Regulierung.
Rainer Haselmanns empirische Arbeiten über den Finanzsektor sind beispielhaft in ihrer Fokussierung auf das Verhalten der Beteiligten, in der Erschließung von bisher nicht gekannten Datenquellen und der phantasievollen Verknüpfung verschiedener Datenquellen zur Ermittlung kausaler Zusammenhänge. Soweit die Arbeiten die Auswirkungen staatlicher Eingriffe betreffen, sind sie auch beispielhaft für das, was man unter der Überschrift „Law and Finance“, ökonomische Analyse der Auswirkungen rechtlicher Regeln im Finanzsektor sehen möchte. Es ist daher zu begrüßen, dass Rainer Haselmann zusammen mit Tobias Tröger eine DFG Forschergruppe zu genau diesem Thema initiiert hat.
Grußwort des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (PDF, 47KB)
Grußwort des Vorsitzenden des Stiftungsrates der Commerzbank-Stiftung (PDF, 43KB)
Laudatio (PDF, 35KB)
Ansprache des Preisträgers (PDF, 49KB)
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. Marietta Auer, M.A., LL.M. S.J.D. (Harvard).
Die Auszeichnung erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 17. Oktober 2017 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Die Frage, die Marietta Auer sich und uns stellt, lautet: Ist Privatrechtswissenschaft möglich? Ist sie möglich in einer Zeit, welche die historischen Kontingenzen, die sozialen Triebkräfte, die philosophischen Voraussetzungen und die anthropologischen Begrenztheiten rechtswissenschaftlicher Aussagen – ja: rechtlicher Aussagen überhaupt – so gründlich erforscht und dabei dekonstruiert hat, dass die bloße Vorstellung einer „objektiven Richtigkeit“ logisch geformter Subsumtionsschlüsse nur noch ein Lächeln hervorruft: ein Lächeln, das – je nach Temperament – zynisch oder mitleidig sein kann, wenn es die tagtägliche Arbeit der von Professoren betriebenen Rechtsdogmatik, aber auch der von Richtern ins Werk gesetzten Urteilsproduktion in den Blick nimmt. Diese klassischen Ausprägungen der Rechtswissenschaft gehören dem an, was die Rechtstheorie spätestens seit Hart als den „internal view“ bezeichnet: die Arbeit im und am Recht als System, das idealiter als vollständig und widerspruchsfrei gedacht werden kann. In dieser Umwelt sieht man die Aufgabe der Rechtswissenschaft seit jeher darin, grundlegende Zusammenhänge aufzuspüren, Prinzipien herauszuarbeiten, Lücken zu füllen, Widersprüche zu bewältigen und schließlich konkrete Fälle zu „lösen“.
Diese Welt hat Marietta Auer als Studentin der Rechtswissenschaften und der Philosophie an der LMU und später als Doktorandin und Habilitandin bei Claus-Wilhelm Canaris kennengelernt, der wie kein anderer in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg den Systemanspruch des Bürgerlichen Rechts rechtsphilosophisch begründet, rechtsmethodisch geschärft und rechtsdogmatisch exemplifiziert hat. Nach ihrer juristischen Grundausbildung hat ihr ein mehrjähriger Aufenthalt an der Harvard Law School indessen nicht nur die üblichen Ehrenzeichen des LL.M. und des S.J.D. eingebracht, sondern sie vor allem mit dem „external view“ konfrontiert, der historisch, soziologisch und politikwissenschaftlich informierten Außensicht auf die Akteure des Rechtssystems, dessen Grunderkenntnis sich Marietta Auer nicht entziehen konnte: Aussagen über Inhalt und Anwendung des Rechts, namentlich in gerichtlichen Urteilen, können eben nicht mit größter Geistesanstrengung aus einem prästabilierten System gefolgert werden, sondern bilden immer auch eine soziale Praxis, einen wirtschaftlichen Interessengegensatz und nicht zuletzt die Individualpsychologie von Richtern als Einzelpersonen ab. In Harvard wurde Duncan Kennedy ihr zweiter Lehrer, ein Haupt der critical legal studies, welche die bereits vor hundert Jahren begründete Tradition des legal realism zuspitzte und ins Politische wendete.
Kann man vom „external view“ zum „internal view“ zurückkehren, wenn man aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland zurückkehrt? Sind wissenschaftliche Aussagen zum Recht und seinem Inhalt durch logische Subsumtion in einem normativen Systemzusammenhang möglich? In Ihrer preisgekrönten Dissertation über „Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit“ widmet sich Marietta Auer dieser Frage ausgehend von einer cause célèbre des deutschen Privatrechts: der Frage nach der Bindungswirkung von Bürgschaften zwischen nahen Angehörigen, konkret: der Anwendung der Generalklauseln von „Sittenwidrigkeit“ und „Treu und Glauben“ gegenüber der Obligation der unter sozialem und psychologischem Druck stehenden Bürgen zu Lasten der kreditgebenden Banken. Die wesentliche Leistung dieses Buches liegt darin, dass sie entgegen der Tradition der deutschen Rechtsdogmatik dieser Problemstellung nicht dadurch nähertritt, dass sie vorgibt, durch strikte Anwendung von Regeln oder wertende Optimierung von Prinzipien eine eindeutige Lösung zu erreichen. Vielmehr belegt sie an diesem Beispiel eine apriorische Unauflöslichkeit von drei Kernwidersprüchen unserer Rechtsordnung: dem inhaltlichen Widerspruch zwischen einem individualistischen und einem kollektivistischen Verständnis des materiellen Privatrechts, dem formalen Widerspruch zwischen den Ziel einer rechtssicheren Normentechnik und dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit, und dem institutionellen Widerspruch zwischen gesetzlicher Determination und richterlicher Gestaltungsfreiheit. Diese Widersprüche werden an der Diskussion der vielfältigen Generalklauseln des Bürgerlichen Rechts im 20. Jahrhundert exemplifiziert, wobei Auer ihre souveräne Trittsicherheit in der klassischen Dogmatik und Privatrechtstheorie deutscher Prägung mit dem weiten Blick der US-amerikanischen Diskussion kombiniert. Elegant beweist sie bei ihrer Tour durch das 20. Jahrhundert, dass nicht etwa einzelne Normen als Generalklauseln bereit standen, um die genannten inhaltlichen Konflikte einer bestimmten Lösung zuzuführen, sondern dass es die Konflikte und ihre Unauflöslichkeit waren, welche diese Normen überhaupt zu Generalklauseln haben werden lassen. So kann nur eine Wissenschaftlerin agieren, die das interne Geschäft der Rechtswissenschaft ebenso beherrscht wie die Außensicht auf das eigene Tun und eben damit auch eine Rolle als Vermittlerin zwischen den Perspektiven einnimmt.
Marietta Auer hat diese Grundfrage nach der Möglichkeit von Privatrechtswissenschaft fortgesetzt in ihrer – ebenfalls preisgekrönten – Münchner Habilitationsschrift über den „Privatrechtsdiskurs der Moderne“. Konkret geht es um die Grundvorstellung des Privatrechts als einer Teilrechtsordnung, die verschiedene Aspekte konzeptionell zu verbinden scheint: die „Staatsfreiheit“ ihrer Entstehung, die grundsätzliche Ausrichtung auf die Privatautonomie der Akteure und damit zugleich ihre Abschottung gegenüber öffentlichen Gemeinwohlzwecken als notwendige Gegenstände des „öffentlichen Rechts“. Auer gelingt der Nachweis, dass einerseits – in einer auf Grotius zurückreichenden Denklinie – die „Moderne“ spätestens mit der Aufklärung das Individuum und seine subjektiven Rechte in einer unhintergehbaren Weise als zentrale Instanzen jeder Rechtsordnung etabliert hat, dass aber die Vorstellung einer formalen oder materiellen Staatsfreiheit des Privatrechts oder dessen struktureller Ausrichtung auf die Privatautonomie einem bloßen Mythos anhängt, der in einer parallel geführten „zweiten Moderne“ immer auch Widerlager besaß: in der klassischen Gemeinwohlpflicht und sozialen Verantwortung des individuellen Rechteinhabers, aber auch in der Selbstzerstörung der liberalen Privatrechtsgesellschaft durch die unkontrollierte Akkumulation von Risiken ökologischer, ökonomischer, medizinischer, technologischer und anderer Art. Als Exempel fungiert der Autorin erneut eine Grundkategorie des Privatrechts: das Eigentum, das – wie Auer darlegt – sowohl hermetisch im Sinne einer auf unteilbare und unumschränkte Herrschaft gerichteten dinglich-personalen Autonomie verstanden werden kann (als „absolutes“ Recht) als auch als beliebig gestaltbares und damit auch beliebigen gesetzlich definierten Sozialzwecken unterliegendes Kompetenzbündel im Funktionenwald der Rechtsordnung konstruiert werden kann. Es gibt kein „Eigentum“ an sich, es gibt auch und gerade in der Moderne nur ein im ständigen Fluss befindliches Kontinuum wachsender und sinkender Sozialpflichtigkeit privater Macht.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Marietta Auer in ihrer Habilitationsschrift stärker noch als in ihrer Dissertation den Blick in die Rechtsgeschichte und in die Soziologie weitet, um ein noch plastischeres Bild der vielfach unreflektierten Voraussetzungen und Implikationen zentraler Konzepte der Privatrechtswissenschaft zu gewinnen. Eine weitere Fortsetzung hat dieses Forschungsprogramm in ihrem mit großem Applaus rezipierten Vortrag auf der Tagung der Zivilrechtslehrer 2015 fortgesetzt, wo sie als weiteres Stück namentlich die ideen- und sozialgeschichtliche Entwicklung von Ehe und Familie – vom sozialen Status zum autonomen Vertrag – zu Ende denkt.
In einer Zeit, in welcher auch wissenschaftlich herausragende Qualifikationsschriften kaum noch Leser finden, geschweige denn eine wissenschaftliche Reaktion hervorrufen, kann man mit besonderer Anerkennung feststellen, wie schnell sich die Scientific Community der Rechtswissenschaft mit den frischen Thesen der noch jungen Autorin auseinandergesetzt hat. Bereits im Jahre 2013 ließ Dieter Simon die noch ungedruckte Habilitationsschrift in einem Berliner Seminar diskutieren, und 2016 fokussierte sich ein ganzer Block von Vorträgen auf der Münsteraner Tagung über „Privatrechtstheorie heute“ auf dieses eine Buch. Beide Werke wurden in ihren Erscheinungsjahren von einer hochrangigen Expertengruppe als „Bücher des Jahres“ ausgezeichnet und damit einem breiten Publikum (gerade über die eigentlichen Fachvertreter hinaus) ans Herz gelegt. Dem Erfolg ihrer Thesen mag es auch geholfen haben, dass die Autorin den bemerkenswerten Mut besessen hat, einer „kurzen“ Dissertation (222 S.) eine noch „kürzere“ Habilitationsschrift (167 S.) folgen zu lassen. Reichtum des Inhalts, Klarheit der Sprache, Bündelung der Argumente entschädigen den Leser dieser Werke für vieles, was er andernorts so alles lesen muss. Natürlich stößt die Kühnheit, auf so wenigen Seiten auch umfangreiche rechtshistorische, rechtsphilosophische oder sozialwissenschaftliche Großthemen zu verhandeln, auf Skepsis bei den Spezialisten der jeweiligen Fächer, die mit mancher kritischen Nachfrage zum Detail Recht haben mögen. Aber auch sie können die intellektuelle Kraft dieser Konzentrationsleistung und den damit verbundenen wissenschaftlichen Fortschritt nicht leugnen. Wer übrigens eine noch kürzere „Kurzfassung“ dieses Forschungsprogramms lesen will, dem sei Marietta Auers Aufsatz „Privatrechtsentwicklung in der Moderne: Ein Triptychon“, in dem von Dieter Grimm, Alexandra Kemmerer und Christoph Möllers herausgegebenen Sammelband „Rechtswege“ empfohlen. Und ganz neugierig wird man, wenn man im Schriftenverzeichnis den Titel der noch unveröffentlichten Replik auf ihre Kritiker auf dem genannten Münsteraner Symposium liest: „Privatrecht ist wie Liebe“ – was für ein verheißungsvoller Titel!
Zuletzt hat sich Marietta Auer, die sich übrigens nicht scheut, Studentenliteratur zum Bereicherungsrecht zu verfassen oder dediziert in einem handelsrechtlichen Journal über den „Rückzug von der Börse als Methodenproblem“ zu schreiben, ihre Aufgabenstellung über das Privatrecht hinaus geweitet und dabei an zwei herausragenden Rechtsdenkern des 20. Jahrhunderts Maß genommen: An Gustav Radbruch und an Hermann Kantorowicz. Es lässt den Leser dabei nicht unberührt, dass sie in beiden Arbeiten Konflikte in den Mittelpunkt stellt, die mehr als eine wissenschaftliche Antwort verlangen, nämlich eine ethische Haltung. In ihrer Antrittsvorlesung an der Universität Gießen, an welcher sie seit 2013 lehrt, diskutiert sie Gustav Radbruchs berühmtes, auf die Bewältigung der nationalsozialistischen Hinterlassenschaft gerichtetes Diktum, dass Rechtsnormen, die „in unerträglichen Maße“ den Vorstellungen von Gerechtigkeit widersprechen, keinen Befolgungsanspruch erheben dürften. Ausgehend von einer dreischichtigen Theorie der Geltung – faktisch, rechtlich und moralisch - verdeutlicht sie, dass die zu diesem Diktum geführte rechtstechnische Diskussion über die „Geltung“ der Normen eines Unrechtsstaats die wirkliche Frage nur bemäntele, nämlich die nach der unmittelbaren Durchsetzung von Maßstäben höherrangiger Gerechtigkeit auch gegen das als solches zweifellos geltende Recht. Und in ihrer Würdigung von Hermann Kantorowicz zu dessen 75.Todestag verteidigt sie dessen „freirechtliches“ Denken gegenüber der damals wie heute herrschenden Methodenlehre einer wertungsgeprägten und prinzipiengeleiteten Wertungsjurisprudenz als die ehrlichere Alternative: Gerade weil es in vielen Fällen nicht möglich ist, die Autorität des Gesetzes für die konkrete Lösung eines Konflikts in Anspruch zu nehmen, ist eine offene Betonung der richterlichen Entscheidungsmacht einer verschleiernden Wertungsjurisprudenz vorzuziehen, weil sie eben nicht den falschen Eindruck von Kohärenz und Objektivität vermittelt.
Dieser Wunsch nach Ehrlichkeit, nach Transparenz, nach Offenlegung der impliziten Annahmen und Politiken des Gesetzes, der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung, durchzieht alle Schriften Marietta Auers – auch über die hier zitierten hinaus. Es ist ein aufklärerisches Temperament, das man dahinter spürt, eines, das vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und dennoch die Notwendigkeit einer rationalen Rechtsfindung nicht für obsolet hält. Privatrechtswissenschaft kann in dieser Welt nicht mehr darin bestehen, eindeutige Ergebnisse zu produzieren, aber auch nicht in zynischer Beliebigkeit und Vernachlässigung versinken. Sie muss vielmehr – um eine Formulierung Peter Handkes abzuwandeln – die „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ der Produktion von Rechtserkenntnis so vollständig wie möglich zu erfassen suchen. Vielleicht hat Marietta Auer ihr eigenes Glaubensbekenntnis versteckt in einer Formulierung, mit der sie Hermann Kantorowicz’ Vermächtnis zu beschreiben sucht:
„Rechtswissenschaft ist für Kantorowicz nach allem Gesagten aber mehr als bloße dogmatische Begriffswissenschaft. Sie muss einerseits auch historisch und soziologisch verfahren, ohne aber einem rechtsrealistischen Reduktionismus von Normativität auf Faktizität und von Rechtswissenschaft auf bloße empirische Sozialwissenschaft zu verfallen. Sie ist andererseits auch Normwissenschaft und mit deontologischen Fragen nach dem Richtigen und Gerechten befasst, ohne sich dabei jedoch anmaßen zu dürfen, metaphysische Antworten auf die Frage nach dem „richtigen Recht“ geben zu können. (...) Auch dieses Modell mag auf den ersten Blick allzu begriffsverliebt wirken. Auf den zweiten Blick sind jedoch gerade die allerneuesten Auslotungen des heiklen Wissenschaftscharakters der Rechtswissenschaft in ihrem komplexen Mehr oder Weniger an interdisziplinärer Verflechtung mit den sogenannten „Grundlagenwissenschaften“ auch insoweit bis heute nicht wesentlich über Kantorowicz’ Einsichten hinausgelangt.“
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. Roman Inderst.
Die Auszeichnung erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 23. November 2015 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Roman Inderst gehört zu den weltweit angesehensten und forschungsstärksten deutschen Wirtschaftswissenschaftlern. Er war 2009 einer der Ersten, die den ERC-Grant erhalten haben, und 2010 mit 39 Jahren der jüngste Leibniz-Preisträger.
Er hat in vielen Bereichen der Wirtschaftswissenschaften grundlegende und international anerkannte Forschungsbeiträge erbracht. Besonders originell und wichtig waren seine Arbeiten zum Zusammenhang von Unternehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle sowie zur wettbewerbspolitischen Beurteilung von Zusammenschlussvorhaben von Unternehmen, die Vorprodukte für andere Unternehmen liefern, wie z. B. General Electric und Honeywell für Flugzeugbauer und Luftfahrt. Neuere Arbeiten betreffen den Verbraucherschutz bei Finanzprodukten. Mit originellen Ideen und methodisch sorgfältiger Arbeit gelingt es ihm immer wieder, überraschende neue Einsichten zu aktuellen Problemen zu gewinnen.
In seiner Dissertation hat er sich vor allem mit dezentralen Märkten beschäftigt, in denen die Verträge in bilateralen Verhandlungen bestimmt werden. Er war der Erste, der die sogenannten Analysetools der Literatur zu Such- und Matchingmärkten genutzt hat, um komplexere Verträge unter asymmetrischer Information zu analysieren. Im Vordergrund seiner Habilitation stand das Zusammenspiel von internen und externen Kapitalmärkten, also der Innen- und Außenfinanzierung von Unternehmen. Sein daraus entstandener Artikel „Internal vs. External Financing“ ist der erste theoretischen Beitrag überhaupt, der das Zusammenspiel der beiden Finanzierungsarten in einem modernen theoretischen Rahmen untersucht. Er bildete die Grundlage für die Ableitung weiterer Hypothesen. Zur gleichen Zeit entstanden die ersten Arbeiten zur Theorie der Nachfragemacht in vertikalen Beziehungen, wie sie etwa zwischen Handelsunternehmen und Konsumgüterherstellern bestehen, einem Thema, zu dem Inderst vielbeachtete „Handbook“-Artikel für Wettbewerbsökonomen und -juristen sowie Stellungnahmen etwa für die OECD-Roundtables vorgelegt hat. Seine theoretischen Untersuchungen zum Verbraucherschutz für Finanzprodukte bieten einen geschlossenen Modellrahmen zur Analyse der Interaktion von „product providern“ (wie Banken, die Zertifikate oder Hypotheken vergeben), Beratern oder Brokern und Kunden.
Nach dem Studium der Betriebswirtschaft, Soziologie und Volkswirtschaft in Reutlingen, Hagen und an der Humboldt-Universität zu Berlin wurde er 1998 an der Freien Universität Berlin promoviert und habilitierte sich 2002 in Mannheim. Es folgten Assistenzprofessuren in Mannheim und London, ein Associate Professorship am INSEAD, einer der weltweit größten und renommiertesten Business Schools, sowie eine Professur an der London School of Economics. Seit 2006 ist er Professor für Finanzen und Ökonomie im ‚Haus of Finance‘ an der Goethe-Universität Frankfurt/M. und Affiliated Professor am Imperial College London.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung –
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Grundlagen des Rechts und der Wirtschaft erhält
Professor Dr. Gerhard Wagner, LL.M. (Chicago).
Die Auszeichnung erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Festsitzung der Akademie und der Commerzbank-Stiftung am 5. November 2013 im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt.
Gerhard Wagner, Jahrgang 1962, hat in Göttingen und München studiert, wurde 1989 in Göttingen promoviert, erwarb 1995 an der University of Chicago Law School den Master of Law (LL.M.) und habilitierte sich 1997 in Göttingen mit einer Untersuchung über Prozessverträge. Von 1999 bis 2013 war er Professor für deutsches und europäisches Privat- und Prozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung in Bonn. Zum Sommersemester 2013 nahm er den Ruf an die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Ökonomik an. Er war Visiting Fellow am Institute of Global Law des University College London (2003) und Visiting Professor of Law an der University of Chicago Law School (2010-2011). Er ist Ehrenprofessor an der Renmin University, Beijing und hat den Erasmus Chair of Fundamentals of Private Law an der Erasmus University Rotterdam inne. Er ist Mitherausgeber bedeutender Fachjournale, wie des „Archiv für civilistische Praxis“ und der „Zeitschrift für europäisches Privatrecht“.
Professor Dr. Gerhard Wagner hat wie kein anderer deutscher Zivilrechtswissenschaftler den Glanz und die Kunst der traditionellen Dogmatik in Kerngebieten des Bürgerlichen Rechts mit der interdisziplinären Forschungsrichtung des „law and economics“ zusammengeführt und daraus auf breiter Front Grundlagenforschung zum Vertragsrecht, zum Deliktsrecht, zum Prozessrecht und zum Insolvenzrecht entwickelt. Zentrale Kommentierungen, bedeutende Lehrbücher, gewichtige Monografien und ca. 150 Aufsätze – deutsch- oder englischsprachig, z. T. übersetzt ins Japanische, Chinesische oder Arabische – bilden seine Produktion, die in Breite und Tiefe einmalige Wirkung entfaltet hat.
Zentral ist sein Engagement für die Fortentwicklung des Europäischen Privatrechts. Hier leistete er maßgebliche Beiträge für den Versuch einer europaweiten Harmonisierung des Vertragsrechts. Er hat das Recht unerlaubter Handlungen und das allgemeine Schadensrecht einer umfassenden Bearbeitung zugeführt und bringt seine im Delikt- und Schadensrecht entwickelten Grundannahmen auch in anderen Gebieten des Wirtschaftsrechts zur Geltung, so bei der Arzthaftung, beim Kapitalmarktrecht, beim Kartellrecht oder der Umwelthaftung. Seit seiner Habilitation über Prozessverträge hat er zudem ein umfassendes Œuvre auf dem Gebiet des Verfahrens- und Insolvenzrechts vorgelegt. Ein besonderes Anliegen in diesem Bereich sind ihm die Fortentwicklung des europäischen Prozessrechts, das Recht der Mediation sowie die internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Armin Falk.
Armin Falk, 1968 in Bergisch Gladbach geboren, ist einer der erfolgreichsten deutschen Wirtschaftswissenschaftler. Er hat in Köln Ökonomie, Philosophie und Geschichte studiert und war anschließend zunächst als Doktorand, dann als Assistent Professor an der Universität Zürich. Er wurde bereits früh von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert. In Zürich wurde ihm 1999 der PhD in Ökonomie verliehen, 2003 habilitierte er sich ebenda. Derzeit ist er Professor an der Universität Bonn (seit 2003) und Direktor des Laboratoriums für Experimentelle Wirtschaftsforschung (seit 2004) sowie am Center for Economics and Neuroscience, Bonn. Er ist Programmdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Fellow des Center for Economic Policy Research (CEPR) und des Institute for Economic Research (CESifo), Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für „Research on Collective Goods“. Er trägt regelmäßig an den weltweit führenden Universitäten wie Harvard, Princeton, Stanford und Chicago vor und ist Member of the Council of the European Economic Association (EEA), der wichtigsten europäischen Ökonomenvereinigung.
Armin Falk verfolgt im Unterschied zum standardökonomischen Modell einen verhaltensökonomischen Ansatz, bei dem es um die psychologische Fundierung ökonomischen Verhaltens geht. So postuliert er zum Beispiel Arbeitsbeziehungen als soziale Beziehungen und leitet hieraus die Bedeutung sozialer Präferenzen und Normen für das Verständnis der Funktionsweise von Arbeitsmärkten ab. Er untersucht die Interaktion psychologischer Fakten mit ökonomischen Anreizen und zeigt, dass Kontrolle schlechter sein kann als Vertrauen. Er weist nach, dass neben Eigennutz soziale Vergleiche und Gerechtigkeitsnormen eine wichtige Determinante menschlichen Verhaltens sind und dass Menschen Fairness belohnen. Seine Ergebnisse sind für die ökonomische Grundlagenforschung ebenso wie für die Praxis von großer Bedeutung. Sie zielen auf die Verbesserung der Erklärungskraft des ökonomischen Modells und ermöglichen somit eine empirisch fundierte Wirtschaftspolitik. Herausragende Preise, darunter der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG, der Gossen-Preis, ein Starting Grant des Europäischen Forschungsrats sowie in diesem Jahr der Yrjö Jahnsson Preis, der als eine der wichtigsten Auszeichnungen für Ökonomen im europäischen Raum gilt, belegen seine hohe Leistungsfähigkeit und seine Anerkennung in der internationalen Fachwelt.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Weyma Lübbe.
Weyma Lübbe (Jahrgang 1961) studierte Philosophie, Literaturwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Zürich, Konstanz und München. In Konstanz wurde sie 1989 mit der Arbeit „Gibt es eine Legitimität kraft Legalität? Über Sinnverstehen und Institutionenanalysen bei Max Weber und seinen Kritikern“ promoviert und habilitierte sich 1997 im Fach Philosophie mit einer Arbeit über „Verantwortung in komplexen kulturellen Prozessen“. Sie war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, Heisenberg-Stipendiatin und erhielt 2007 das Opus Magnum-Stipendium der VolkswagenStiftung. 1999 folgte sie einem Ruf an die Universität Leipzig; seit 2009 ist sie Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Regensburg.
W. Lübbe ist eine der profiliertesten deutschsprachigen Vertreter/innen der Forschung über Grundlagen der Praktischen Philosophie, der Sozialwissenschaften, der Wirtschaftswissenschaften und der Rechtswissenschaften. Sie gilt als Begründerin der so genannten Allokationsethik, die sich im Schnittbereich von philosophischer Ethik und medizinischen, ökonomischen und juristischen Fragestellungen bewegt. Ihre Arbeiten zeugen von beeindruckender Grundlagenkenntnis, ungewöhnlichem analytischem Scharfsinn und großer systematischer Kraft. Der Schwerpunkt Ihrer Forschungen liegt im Bereich der Grundlagen der Ethik, der Sozialwissenschaften, der Rechtswissenschaften und der Ökonomie. Bereits die Dissertation von 1989, in der sie anhand einer Weber-Analyse, in kritischer Distanz zur Weber-Kritik von Habermas und Luhmann, zeigt, wie durch legale Setzung Legitimität erzeugt wird, weist diese Thematik auf, eindrucksvoll weitergeführt in der Habilitationsschrift von 1997, die einen wesentlichen Beitrag zur Reformulierung des Problems der kollektiven Zurechnung bzw. der kollektiven Verantwortung in komplexen kulturellen Prozessen leistet.
Auch ihre weiteren Arbeiten bewegen sich im Rahmen der Ethik, speziell der Angewandten Ethik, der Sozialphilosophie, der Rechtsphilosophie und der Theorie und Geschichte der Sozialwissenschaften. Spezielle Themen sind der Normgeltungsbegriff, Handeln und Verursachen, Handlungsfolgenverantwortung, der Begriff der Rationalität, Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit, das Problem der Gleichheit, Determinismus und Probabilismus. Es sind hochaktuelle Themen, die bewegen und die jeden angehen, Fragen, deren Beantwortung mitentscheidet über die Zukunft und die ethisch-moralische Verfassung unserer Gesellschaft. Hinzu treten drei für die Grundlagendiskussion in den genannten Bereichen wichtige Herausgaben: Politik und Kultur nach der Aufklärung (Stuttgart 1992), Kausalität und Zurechnung (Berlin 1994) und Tödliche Entscheidung (Paderborn 2004).
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Armin von Bogdandy.
Armin v. Bogdandy - geb. 1960, nach Studien der Rechtswissenschaften und der Philosophie Promotion in Freiburg (1988), Habilitation an der FU Berlin (1995), Professor für Öffentliches Recht in Frankfurt/Main (1997), seit 2002 Direktor am MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht - erfüllt in Person und wissenschaftlichem Werk in hervorragender Weise die Anforderungen an einen Träger des hier zu verleihenden Preises:
Ein nach den Grundlagen des eigenen Faches fragendes Interesse bestimmt bereits die ersten Studiensemester: Neben dem Jurastudium wird 1980 ein Zweitstudium der Philosophie aufgenommen. Die Frucht ist die 1988 vorgelegte Dissertation über den Gesetzesbegriff bei Hegel. Über „Hegel und der Nationalstaat“ (in: Der Staat 1991, S. 513ff.) führt der Weg zu einem anspruchsvollen Konzept, das dem europäischen Mehrebenen-System im Gedanken eines supranationalen Föderalismus eine angemessene, auf Freiheit angelegte Herrschaftsform geben soll. In derselben Linie steht das Bestreben, die Positionen des Völkerrechts von menschenrechtlichen und demokratietheoretischen Ansätzen her zu bestimmen.
v. Bogdandys Entwürfe wollen ein neues konzeptionelles Denken in den von ihm gepflegten Gebieten des Verfassungs-, Völker- und Europarechts; vor radikalen Brüchen mit überkommenen Grundannahmen juristischer Dogmatik wird nicht zurückgeschreckt. Solche Versuche bleiben zwar nicht unwidersprochen: Die „Konstitutionalisierung des europäischen öffentlichen Rechts in der europäischen Republik“ (in: Juristenzeitung 2005, S. 529ff.) so wenig wie das Anliegen eines stärker kulturwissenschaftlichen (statt souveränitätsorientierten) Völkerrechtsverständnisses. Aber v. Bogdandy weiß, warum man auf der Öffnung traditioneller Dogmen bestehen muß, er weiß es auch auf Grund seiner Studien zur Rechtsvergleichung, die für ihn nicht nur ein Vergleich der Rechtssysteme, sondern auch des Rechtsdenkens sind.
Das Interesse an Grundlagenproblemen hat die Arbeiten zu konkreten Themen des positiven Rechts nicht zu kurz kommen lassen. Mit bewundernswürdiger Energie hat v. Bogdandy bereits in recht jungen Jahren ein umfangreiches wissenschaftliches Werk auch auf diesem Felde geschaffen. Die Schwerpunkte liegen im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. v. Bogdandy ist Kommentator wichtiger Vorschriften des EG-Vertrages in dem eingeführten Kommentar von Grabitz und Hilf (Das Recht der Europäischen Union, Stand: 2005) und des WTO-Übereinkommens in einem neuen, an seinem Institut herausgegebenen Kommentar zum Welthandelsrecht (2006). Er hat zusammen mit Jürgen Bast und Felix Arndt die wichtigste Studie zu den Handlungsformen des Unionsrechts vorgelegt (ZaöRV 2002, S. 77ff.) und im selben Jahr ein „Europäisches Verfassungsrecht“ herausgegeben, dessen Konzept durch seine Prinzipienlehre geprägt ist und das im Untertitel das wissenschaftliche Denken seines Gründers treffend ausdrückt: „Theoretische und dogmatische Grundzüge“. Das große rechtsvergleichende Handbuch Ius Publicum Europaeum schließlich, das v. Bogdandy zusammen mit P. Cruz Villalón und P.M. Huber ediert und dessen erste beiden Bände 2007 und 2008 in schneller Abfolge erschienen sind, stellt eine beeindruckende Leistung dar, die nur von Wissenschaftlern erbracht werden kann, die in der europäischen und internationalen Wissenschaft einen herausragenden Rang haben.
Armin von Bogdandy - ein Preisträger mit Substanz und Ausstrahlung!
Die Veranstaltung zur Preisverleihung am 4. Juni 2008 ist in einer Broschüre dokumentiert (Wolfgang Schön - Laudatio, Ansprache des Preisträgers, Klaus von Dohnanyi – Festvortrag „Weltwirtschaft und föderaler Staatsaufbau – Hindernis oder Chance?“).
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Christoph Halbig.
Christoph Halbig, Jahrgang 1972, wurde nach einem Studium der Klassischen Philologie, Philosophie und katholischen Theologie 1999 in Philosophie an der Universität Münster promoviert und dort im Jahre 2005 mit einer Venia legendi für Philosophie habilitiert. 2002 wurde er in die Junge Akademie aufgenommen. Nach Vertretungsprofessuren an der Humboldt-Universität zu Berlin und in Jena wurde er 2006 auf eine Professur für Philosophie in Jena berufen.
Christoph Halbig hat den Mut zu herausfordernden Thesen. Schon in seiner Dissertation über Hegels Erkenntnistheorie und Theorie des menschlichen Geistes vertritt er auf der Grundlage zentraler Teile von Hegels „Enzyklopädie“ die These, dass Hegels absoluter Idealismus mit einem „common-sense Realismus“ übereinstimme, dass es keine abgrenzbaren Bereiche des Begrifflichen und des Sinnlichen gebe. Die These des Idealismus, dass die Gedanken die Wirklichkeit ausmachen, und die These des „common-sense“ Realismus, dass die Dinge unabhängig von Akten des menschlichen Geistes existieren und als solche auch erkannt werden können, scheinen vereinbar.
In seiner Habilitationsschrift „Praktische Gründe und die Realität der Moral“ greift Halbig zentrale Themen der Metaethik auf. Es geht um den wissenschaftlichen Status der Ethik und den ontologischen Status ihrer Gegenstände. Er fragt, ob die Gründe und Motive moralischen Handelns auf subjektive Überzeugungen, Interessen und Anliegen der Handelnden zurückzuführen seien und vertritt die These, dass dieser moralische Subjektivismus zu kurz greift. Halbig versucht entgegen dem breiten Mainstream zu zeigen, dass es Werttatsachen gibt, die den vorgebrachten Gründen und Handlungsmotiven zugrunde liegen.
Halbig verteidigt einen moralischen Realismus, der weithin als obsolet gilt, mit einer eindrucksvollen „dialektischen“ Substanz unter Einbezug fast aller in den letzten Jahrzehnten vertretenen metaethischen Positionen, die von keiner der streitenden Parteien ignoriert werden kann.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Jens Beckert.
Jens Beckert, Jahrgang 1967, wurde nach Studien- und Forschungsaufenthalten an der New School for Social Research, New York, und an der Princeton University 1996 an der FU Berlin promoviert. Seine Dissertation „Grenzen des Marktes. Die sozialen Grundlagen wirtschaftlicher Effizienz“ liegt im Schnittbereich von Soziologie und Ökonomie und ist mittlerweile auch in englischer Übersetzung bei Princeton University Press erschienen. 2002/2003 war er Associate Professor of Sociology an der International University Bremen. Beckert war Habilitationsstipendiat der DFG und John F. Kennedy Memorial Fellow an der Harvard University und wurde Mitglied der Jungen Akademie, bevor er sich 2003 mit der Arbeit „Unverdientes Vermögen. Eine vergleichende Soziologie des Erbrechts“ an der FU Berlin habilitierte. Er war von 2003–2005 C4-Professor für Soziologie an der Universität Göttingen. Am 1. März 2005 hat er seine Arbeit als Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsordnung aufgenommen.
Jens Beckert gehört zu den national wie international originellsten und produktivsten Soziologen seiner Generation. Er gilt schon heute als führender Vertreter einer neuen Wirtschaftssoziologie, die auf Augenhöhe mit der ökonomischen Theorie die fundamentalen Themen und Fragen der soziologischen Klassik neu entdeckt und damit über ihre Teildisziplin hinaus auf die Gesellschaftswissenschaften insgesamt ausstrahlt. Bereits mit seiner Dissertation hat er maßgeblich dazu beigetragen, die Konturen dieses relativ neuen und produktiven Feldes im Schnittbereich von Soziologie und Ökonomie zu profilieren. Mit seiner Habilitationsschrift analysiert er die politischen und gesellschaftlichen Diskurse über das Erbrecht in den vergangenen zwei Jahrhunderten in Frankreich, Deutschland und den USA, in denen grundlegende normative Prinzipien moderner Gesellschaften verhandelt wurden und wesentliche Aspekte ihrer moralischen Identität einer Gesellschaft festgelegt wurden.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Michael Germann.
Professor Dr. Michael Germann, geboren 1967, studierte Jura an der Universität Tübingen, an der Université de Genève und an der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er 1992 die erste und 1994 die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt hat. Seit 1994 arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent am dortigen Hans-Liermann-Institut für Kirchenrecht, seit 2001 als Oberassistent. 1999 erfolgte die Promotion, 2001 die Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Kirchenrecht.
Mit seiner Habilitationsschrift "Die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche" hat M. Germann eine grundlegende Abhandlung nicht nur für dieses spezielle Gebiet, sondern für das evangelische Kirchenrecht und sein Verhältnis zum staatlichen Recht überhaupt vorgelegt. Die Leistung der Arbeit besteht in der Herausarbeitung einer Gesamtkonzeption der Legimitation und Funktion evangelischen Kirchenrechts und kirchlicher Rechtssprechung sowie der Entfaltung dieser Konzeption am kirchenrechtlichen Detail. M. Germann befasst sich mit Grund und Grenzen evangelischer Gerichtsbarkeit aus kirchlicher Sicht. Beide Blickwinkel, der von der staatlichen Justizgewährungspflicht und derjenige vom kirchlichen Selbstverständnis her, überschneiden sich naturgemäß partiell. Der Germannsche Ansatz setzt sich mit der Grundsatzproblematik evangelischer Kirchenrechtsbegründung auseinander und mach deutlich, warum und in welchem Umfang die evangelische Kirche im freiheitlichen Staat aufgrund eben dieses Selbstverständnisses die Respektierung einer eigenen Rechtssprechungsgewalt fordern muss. Germanns Arbeit hat über das evangelische Recht hinaus anregende Bedeutung für andere Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des deutschen und künftigen europäischen Rechts.
Neben der Habilitationsschrift belegen die von Martin Germann verfassten Artikel in der neuesten Auflage des Lexikons „Religion in Geschichte und Gegenwart“, dass er konstruktive Theologie, Historie und Jurisprudenz zu verbinden weiß.
Den Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
– gestiftet von der Commerzbank-Stiftung – erhält
Professor Dr. Klaus M. Schmidt.
Professor Dr. Klaus Schmidt, Jg. 1961, studierte Volkswirtschaftslehre und Politologie in Hamburg, provomierte 1991 und habilitierte sich 1995 in Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn. Im unmittelbaren Anschluss an die Habilitation wurde er auf eine C4-Professur an der Universität München berufen. 1992 war er für ein Jahr als Assistant Professor am Massachusetts Institute of Technology mit Lehraufträgen betraut. Während des Sommersemesters 2000 weilte er als Visiting Professor an der Stanford University.
Herr Schmidt befasst sich als Wirtschaftstheoretiker mit spieltheoretischen Ansätzen und mit der ökonomischen Theorie der Verträge, hier insbesondere mit Optionsverträgen und Wandelschuldverschreibungen sowie mit linearen Anreizmechanismen. Auf dem Gebiet der Theorie wiederholter Spiele leistete er vielbeachtete Beiträge zur Funktionsfähigkeit von Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen zur Erstellung von Kooperationen oder Verhandlungsmacht in wiederholten Spielen mit unvollständiger Information. Seine Arbeiten zur Vertragstheorie befassen sich mit der Ausgestaltung bestimmter Formen unvollständiger Verträge, in denen es auch um die Verteilung von Handlungskompetenzen geht, mit der Lösung von Allokations- und Anreizproblemen. Neben wirtschaftstheoretischen Arbeiten über Fairness, Competition und Cooperation hat sich K. Schmidt auch Anwendungen vertragstheoretischer Arbeiten auf Probleme der Systemtransformation in Osteuropa zugewandt.
Klaus Schmidt ist Herausgeber von „European Economic Review“ und Associate editor des „RAND Journal of Economics“, eine Position, die er bereits bei der Zeitschrift „Review of Economic Studies“ inne hatte. Die internationale Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeiten findet ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Publikation durch renommierte Fachzeitschriften – bereits mit seiner Dissertation und der Habilitationsschrift vorgelegte Ergebnisse wurden zur Veröffentlichung angenommen – sowie die eingeladenen Vorträgen.