Der Österreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts – und damit rund 200 Jahre vor Martin Luther – hat ein Anonymus große Teile der Bibel ins Deutsche übersetzt und teilweise mit ausführlichen Erläuterungen versehen, die sich aus der lateinischen Kommentartradition sowie apokryphen und erbaulichen Texten speisen. Durch das hohe sprachliche Niveau und die programmatische Verteidigung des Anspruchs, die Heilige Schrift mit Kommentaren für ein tieferes Verständnis für Laien in der Volkssprache zugänglich zu machen, kommt ihm eine besondere Stellung in der Geschichte der Bibelübersetzung vor Luther zu.
Was wissen wir über den Autor?
In einer Handschrift von 1372 wird die darin enthaltene kommentierte Psalmenübersetzung dem als Sangspruchdichter und Chronisten bekannten Heinrich von Mügeln zugeschrieben. Dies führte dazu, dass demselben neben diesem „Psalmenkommentar“ auch weitere anonym überlieferte Bibelübersetzungen und Traktate zugesprochen wurden. Mit dem Auffinden älterer Handschriften und Fragmente erwies sich diese Zuschreibung jedoch als hinfällig: Die Übersetzungen müssen schon um 1330 und damit deutlich vor der Schaffenszeit Heinrichs von Mügeln entstanden sein. Dass die Übersetzungen verschiedener Bibelbücher und eine Reihe weiterer Traktate dennoch das Oeuvre eines Einzelnen sind, ergibt sich aus den vielfältigen intertextuellen Bezügen, den Selbstzitaten und den Angaben in den Vorreden, in denen der Autor sich auf seine bereits vorliegenden Übersetzungen bezieht. Seinen Namen nennt er dabei nicht, sodass sich in der Forschung der Notname „Österreichischer Bibelübersetzer“ eingebürgert hat.
Weniges zur Person und zum Leben des Autors lässt sich seinen Schriften, vor allem den Vorreden oder Verteidigungsschriften entnehmen. Dort sagt er über sich selbst, dass er ein Laie, also kein ordinierter Geistlicher sei, und damit auch nicht berechtigt zu predigen. Außerdem habe er keine höhere Schule besucht, also keine universitäre Ausbildung genossen. Die Sprache der Handschriften und die Verbreitung der Texte legen zudem nahe, dass er im Herzogtum Österreich an der Grenze der Diözesen Salzburg und Passau gelebt hat.
Anliegen und Selbstverteidigung
Der Österreichische Bibelübersetzer verfasst seine Texte als Laie für Laien. Sein Ziel ist es, die Heilige Schrift und ihre Auslegung auch denjenigen zugänglich zu machen, die über keine oder nur geringe Lateinkenntnisse verfügen. Dementsprechend liegt sein Fokus darauf, ein gut verständliches Deutsch zu schreiben, sodass seine Texte für sich selbst stehen können, während man bei vielen anderen mittelalterlichen Übersetzungen aus der Bibel davon ausgehen kann, dass sie in erster Linie als Hilfsmittel zum besseren Verständnis des lateinischen Textes gedacht waren.
Mit seinen Texten wendet er sich explizit gegen Ketzer, die die Heilige Schrift falsch auslegen, und möchte seinen Lesern gerade auch durch die Kommentierung der Bibel die nötigen Mittel an die Hand geben, häretische Aussagen als solche erkennen und verurteilen zu können. Nicht nur in seinen Traktaten wendet er sich dabei immer wieder besonders gegen die Juden, die er ebenfalls für Ketzer hält, womit er selbst in seiner Zeit eine Extremposition einnimmt.
Für seine Übersetzung der Bibel und deren Auslegung ist der Österreichische Bibelübersetzer offensichtlich wiederholt angegriffen worden. Gegen diese Angriffe setzt er sich an verschiedenen Stellen zur Wehr, unter anderem in Vorreden zu einzelnen Werken, aber auch in einer eigenständigen lateinischen Verteidigungsschrift.
Oeuvre
Das Werk des Österreichischen Bibelübersetzers setzt sich zusammen aus (kommentierten) Übersetzungen aus der Bibel und einer Reihe von Traktaten. Nach derzeitigem Forschungsstand zählen dazu:
Alttestamentliches Werk (AW)
(früher: „Schlierbacher Bibel“ oder „Schlierbacher Altes Testament (SAT)“)
Das AW umfasst Übersetzungen der Bücher Genesis, Exodus, Tobias, Hiob und Daniel, die teilweise nur auszugsweise übersetzt und mit sparsamem Kommentar versehen sind. → Überlieferungszeugen
Verteidigungsschriften
Verbunden mit dem AW sind eine lateinische und zwei deutsche Verteidigungsschriften. Letztere werden auch als „Vorreden I und II“ bezeichnet und sind auch unabhängig vom AW überliefert. → Überlieferungszeugen → Edition: Freimut Löser und Christine Stöllinger-Löser: Verteidigung der Laienbibel. Zwei programmatische Vorreden des österreichischen Bibelübersetzers der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Kurt Ruh zum 75. Geburtstag, hg. von Konrad Kunze, Johannes G. Mayer und Bernhard Schnell (Texte und Textgeschichte 31). Tübingen 1989, S. 245-313.
Psalmenkommentar (PsK)
Übersetzung des Psalters mit fortlaufender Kommentierung, die sich an die „Postilla litteralis super salterium“ des Nikolaus von Lyra (gest. 1349) anlehnt. Der PsK ist damit ein sehr frühes Zeugnis für die deutschsprachige Rezeption dieses wichtigen Bibelkommentars und gleichzeitig der erfolgreichste Text des Österreichischen Bibelübersetzers. Dies legt zumindest die große Zahl der erhaltenen Textzeugen nahe. → Überlieferungszeugen
Der PsK ist in mehreren Fassungen und in der Regel mit einer von drei Vorreden (A, B oder C) überliefert. → Edition der Vorreden: F. W. Ratcliffe: Die Psalmenübersetzung Heinrichs von Mügeln: die Vorrede, der ‚schlichte’ Psalmentext und Probleme einer Herausgabe. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 84 (1965), S. 46–76.
Proverbia und Ecclesiastes
Übersetzung der beiden Bücher mit fortlaufender Kommentierung (so in der Handschrift Rom (Vatikanstadt), Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Ross. 694). In der Handschrift Dresden, Landesbibl., Mscr. M 208 hingegen findet sich nur die Übersetzung ohne Kommentar. → Überlieferungszeugen
Evangelienwerk (EW)
(früher „Klosterneuburger Evangelienwerk (KEW)“)
Harmonisierende Übersetzung der vier Evangelien und Übersetzung des Beginns der Apostelgeschichte bis nach Pfingsten mit ausführlicher Kommentierung, die neben gängiger Kommentarliteratur auch Apokryphes und Erbauliches aufnimmt und sich dabei teilweise auf deutsche Vorlagen (Konrad von Fußesbrunnen: „Kindheit Jesu“ , Gundacker von Judenburg: „Christi Hort“ ) stützt. Eingefügt sind Kapitel mit ebenfalls kommentierten alttestamentlichen Weissagungen, am Ende stehen die Pilatus-Veronika-Legende und die Zerstörung Jerusalems. Das EW ist in zwei Fassungen überliefert, die den Text teilweise unterschiedlich organisieren. → Überlieferungszeugen
→ Edition der ins EW integrierten Übertragung des Evangelium Nicodemi und der Pilatus-Veronica-Legende: Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa. Texte. Hg. von Achim Masser und Max Siller (Germanische Bibliothek, 4. Reihe). Heidelberg 1987.
→ Transkription der Leithandschrift der Erstfassung → PDF (PDF, 4MB) → Digitalisat
Supplement
Verbunden mit dem EW ist ein auf Maria konzentriertes Supplement nach nichtbiblischen Quellen.
Zwischen Bibelübersetzung und Traktat steht eine thematisch geordnete, kommentierte Auswahl aus den Salomonischen Weisheitsbüchern, in die einige der unter 3. aufgeführten Traktate eingebettet sind. → Überlieferungszeugen
Von den Festen der Juden und Christen
→ Überlieferungszeugen → Edition: Manuela Niesner: „Wer mit juden well disputiren“. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 128). Tübingen 2005
Übertragung der „Disputatio Iudaeorum contra Anastasium“ des Paschalis von Rom
→ Überlieferungszeugen → Edition: Manuela Niesner: „Wer mit juden well disputiren“. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 128). Tübingen 2005
Von der juden jrrsall
→ Überlieferungszeugen → Edition: Manuela Niesner: „Wer mit juden well disputiren“. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 128). Tübingen 2005
Ketzertraktat
Fürstenspiegel „All hie ist mit fleiss ze mericken“
Büchlein vom Antichrist
→ Überlieferungszeugen -> Edition: Paul Gerhard Völker: Vom Antichrist. Eine mittelhochdeutsche Bearbeitung des Passauer Anonymus. München 1970 (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters 6).
Büchlein vom Jüngsten Gericht
Edition
In den in Berlin und an der Universität Augsburg angesiedelten Arbeitsstellen des von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam getragenen Akademienvorhabens sollen bis Ende 2027 alle noch nicht in kritischen Editionen vorliegenden Texte des Oeuvres in einer Hybrid-Edition aufgearbeitet und für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Für die digitale Edition wird die an der BBAW entwickelte digitale Arbeitsumgebung „ediarum“ für die spezifischen Erfordernisse des Projekts angepasst. Die Druckausgabe wird in der Reihe „Deutsche Texte des Mittelalters “ erscheinen.
Promotionsprojekt Berlin
Für die Feststellung der Überlieferungsverhältnisse des Evangelienwerks spielen die Exzerpte eine bedeutende Rolle, die bisher in 12 Handschriften vertreten sind und damit eine wichtige Tradierungsform innerhalb der Überlieferung darstellen.
In ihrem Dissertationsprojekt untersucht Christiane Römer (Stipendiatin) daher die Herauslösung und Verselbstständigung bestimmter Teile des Evangelienwerks (z. B. der Passion) sowie die Strategien der Modifikation bei der Exzerption. Die Arbeit wird also zum einen die Rezeption und Relevanz der Themen des Evangelienwerks eruieren und zum anderen mit der Identifikation der Exzerpte zeigen, inwieweit diese bestimmten Fassungen zuzuordnen sind. Sie dient damit auch der Rekonstruktion und Edition des Evangelienwerks insgesamt.
Die Untersuchung zielt entsprechend auf kodikologische, überlieferungsgeschichtliche, literaturhistorische und editionspraktische Aspekte und nimmt ein bisher weitestgehend ausgespartes Thema der Mediävistik zur Grundlage.
Die Bibel für alle!
Mit einer von Elke Zinsmeister (Berlin), Angila Vetter (Augsburg) und Simon Lemm (Berlin) erstellten Hörstation präsentierte sich das Vorhaben am 17. Juni 2019 beim Akademientag in Mainz: Eine Sammlung von Hörproben der Bibel in verschiedenen Sprachen macht diese Klanggeschichte von den Originalsprachen bis hin zur ersten isländischen Übersetzung nachvollziebar.
Während es schon früh Übersetzungen der Bibel in östliche Sprachen wie das Syrische gab, erklang im westlichen Europa die Heilige Schrift über Jahrhunderte nur auf Lateinisch. Dies ändert sich im Spätmittelalter. Dank dem Österreichischen Bibelübersetzer oder Theologen wie Jan Hus oder John Wycliff wird das wichtigste Buch der Christenheit auch in den westlichen Volkssprachen zugänglich.
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